Was wäre Demokratie ohne Medien?
Wahlen in den USA, Wahlen in Brasilien, Bundesratswahlen in der Schweiz: Hochbetrieb beim Medienkonsum...
Ich habe diese drei Themen unterschiedlich intensiv verfolgt. Es ist klar, dass die Wahlen in der Schweiz mich am stärksten interessieren, auch wenn sie auf die globalen Probleme zweifellos deutlich weniger Einfluss haben als jene in Übersee: Wir hoffen, dass in Brasilien Lula nicht nur der Demokratie mehr Raum gibt als sein Vorgänger, sondern auch dem Schutz des Regenwaldes. Und wir nehmen vorerst einigermassen beruhigt zur Kenntnis, dass die hartnäckigsten Trump-Gefolgsleute eher schlechte Wahlresultate erzielen.
Nur dank kompetenten Medien hierzulande, die sich auf verlässliche Quellen vor Ort stützen können, erfahren wir diese Resultate, aber auch diese Einschätzungen. Besonders beeindruckt hat mich das Tagesgespräch auf Radio SRF 1 am 9. November mit der Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern. Die Wahl der Gesprächspartnerin war ein Volltreffer: Eine eher junge Frau, die nicht wissenschaftlich trocken über die Wahlen in den USA und ihre Auswirkungen sprach, sondern mit einem gewissen Augenzwinkern und offensichtlicher Begeisterung an ihrer Arbeit. So stelle ich mir guten politischen Journalismus vor.
Ich habe den Eindruck, dass die Wahlresultate in beiden amerikanischen Staaten sogar etwas Hoffnung zulassen, dass weite Teile der Bevölkerung sich nicht gross beeinflussen lassen durch gezielte Desinformationen gewisser Kreise. Anscheinend sind Menschen, die an Wahlen teilnehmen wollen, durchaus in der Lage, sich differenzierte Meinungen zu bilden. Dies dürfte jenseits des Atlantiks deutlich schwieriger sein als hierzulande, wie ich aufgrund der Informationen vermute, die wir über die dortige Medienszene haben.
Etwas weniger klar ist mir, was ich vom Umgang der Medien mit der Bundesratswahl halten soll. Sicher, niemand hat mit dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga gerechnet. Aber seit dessen Ankündigung haben die Schweizer Medien anscheinend völlig vergessen, dass auch die SVP einen Sitz zu besetzen hat. Das Auswahlverfahren der SP – das zweifellos kritisch betrachtet werden kann – dominiert tagelang die Zeitungen. Die Personen rücken komplett in den Hintergrund. Auch hier übrigens wieder ein positives Gegenbeispiel von Radio SRF: Die Beurteilung der beiden Kandidatinnen Evi Allemann und Eva Herzog durch Bundeshausredaktorin Ruth Wittwer.
Täusche ich mich, oder ist es eine Art Selbstläufer, wenn Daniel Jositsch seinen Vorstoss bis hin zur (meines Erachtens aussichtslosen) Kandidatur nur deshalb überhaupt so machen konnte, weil die Medien ihn nicht nur unterstützt, sondern regelrecht angetrieben haben? Wo liegt die Grenze zwischen Berichterstattung und Einflussnahme? Weshalb unterstützen zahlreiche Medien Jositsch weitgehend unkritisch, während sie bei SVP-Kandidatin Michèle Blöchliger auf deren kommunikativen Fehlern herumreiten? Sind es tatsächlich immer noch die alten Muster, dass ein Mann immer alles richtig und eine Frau immer alles falsch macht?
Sie sehen, ich habe gerade mehr Fragen als Antworten. Das ist gar nicht so schlecht. Das treibt mich an, weiterhin meinen Einsatz für den unabhängigen Journalismus als Beitrag zur Demokratie zu leisten. Das ist ja unser Leitsatz, von dem wir uns in der SRG Aargau Solothurn seit inzwischen zwei Jahren führen lassen – eben erst haben wir in der Vorstandsretraite daran gearbeitet, wie wir das im nächsten Jahr weiter angehen wollen.