Von der Schwierigkeit, eine GV nicht durchzuführen

Letztlich gaben zwei regelmässig steigende Zahlen den Ausschlag – die eine wäre eigentlich erfreulich gewesen, die andere leider nicht: Laufend trafen weitere Anmeldungen zu unserer Generalversammlung ein, während parallel dazu laufend höhere Ansteckungszahlen vermeldet wurden.

Doch beginnen wir ganz von vorne: In den allerersten Tagen, als Corona unser Land erreicht hatte, dachten wir noch, mit einer Generalversammlung gegen Mitte Mai wären wir auf der guten Seite. Doch bald wurde klar, dass eine Absage oder Verschiebung unausweichlich war. (Kurzer Zwischenruf: In den Tagen um den 11. Mai wurden täglich ca. 40 neue Ansteckungen gemeldet.)

Eine Absage kam damals nicht in Frage, da wir angesichts des 40-Jahr-Jubiläums eine etwas besondere Versammlung planten. Von einer Zunahme der Ansteckungen nach den Sommerferien war zu diesem Zeitpunkt keine Rede, weil niemand dachte, dass Auslandreisen überhaupt ein Thema wären. Deshalb entschieden wir uns für einen Verschiebungstermin gegen Ende Sommer. (Zweiter Zwischenruf: In einem andern Verein, in dem ich im Vorstand war, haben wir einen Termin direkt vor den Sommerferien gewählt. Aber eben: am schlausten ist man immer hinterher.)

Es gab dann einen zweiten Stichtag, an dem wir entscheiden mussten, ob wir an der Durchführung festhalten: vor dem Versand der Einladungen. Das war Mitte Juli, die Fallzahlen stiegen leicht an, Einschränkungen wurden von den Kantonen verlängert, aber nicht verschärft. Der Aargau verlängerte die Beschränkung auf 100 Personen bei Versammlungen nur bis zum 15. August.

Nach dem Versand sah es anfänglich aus, als wäre der Rücklauf eher spärlich. Zu Beginn des Schuljahres hätte man noch annehmen können, dass wir unter der 100er-Schwelle blieben. Und dann begannen beide Zahlen zu steigen. Der Kanton Aargau verlängerte am 13. August die 100er-Beschränkung bis Ende September. Aber wir blieben optimistisch. Wir klärten mit dem Stapferhaus eine Lösung ab, die das Schutzkonzept erfüllt: Der Saal würde in zwei Sektoren abgetrennt, die Leute würden vorab informiert, in welchem sie sitzen werden, und entsprechend müssten sie den Saal durch den einen oder den andern Eingang betreten. Getrennte Toiletten stehen zur Verfügung.

Eine Durchführung wäre also regelkonform möglich gewesen. Aber die beiden Zahlen stiegen weiter. Die Anmeldungen stoppten nicht bei 130, und die Ansteckungen entwickelten sich gegen 300 täglich. (Dritter Zwischenruf: Bei 300 Ansteckungen täglich und einer Krankheitsdauer von 14 Tagen sind gut 4000 Menschen in der Schweiz ansteckend. Auf einen von ihnen zu treffen, ist immer noch so [un]wahrscheinlich wie ein hoher Lottogewinn.)

Über 300 Ansteckungen täglich hatte es ab dem 10. März während rund einem Monat gegeben, dann bis Mitte April noch vereinzelt – und seither bei weitem nicht mehr. Diese Zahl entspricht also einem Wert auf dem Höhepunkt des schweizerischen Pandemie-Verlaufs.

Schliesslich überstiegen die Anmeldungen die 140 und die Ansteckungen die 300. Und es kamen neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft: Die Zeit, in der jemand ansteckend ist, bis er oder sie Symptome zeigt, liegt eher bei fünf als bei zwei Tagen. Damit steigt das Risiko deutlich, dass sich jemand trotz Ansteckung noch in der Öffentlichkeit bewegt. Das grösste Ansteckungsrisiko besteht bei längerem Aufenthalt in einem geschlossenen Raum. Dies wäre der Fall bei unserer Versammlung.

Nach zwei Tagen hintereinander mit über 300 Ansteckungen mussten wir definitiv entscheiden. Eine Absage braucht ja auch einen gewissen Vorlauf, damit alle Leute erreicht werden können, die sich angemeldet haben. Immerhin: Weil bei der Anmeldung zwingend eine Telefonnummer angegeben werden musste – für ein allfälliges Contact Tracing -, konnten wir alle informieren, per E-Mail oder telefonisch.

Wir hätten noch eine Maskenpflicht festlegen können. Der Imbiss wäre als eine Art Geschenksäcklein beim Ausgang verteilt worden. Und wir hätten uns darauf beziehen können, dass sich zurzeit vorwiegend Menschen zwischen 20 und 40 anstecken. Aber es hätte lediglich eine angesteckte Person gebraucht, und drei, vier, fünf Gäste wären darauf hin krank geworden. Vielleicht jemand mit einer Vorerkrankung. Vielleicht mit einem altersschwachen Schutzengel. Vielleicht mit Mitbewohnern, die ebenfalls angesteckt würden. Kurz: Es hätte gut gehen können. Aber verglichen mit anderen Zeiten war das Risiko, dass es nicht gut geht, am Schluss einen Fingerbreit zu gross.

Ich glaube nicht, dass sich an unserer Generalversammlung jemand mit Corona angesteckt hätte. Aber wenn doch, hätte ich mir grosse Vorwürfe gemacht, zu fahrlässig mit einem bekannten und erkennbaren Risiko umgegangen zu sein.

Peter Moor-Trevisan, Präsident SRG Aargau Solothurn