Studie zeigt Handlungsfelder auf

Eine Analyse im Auftrag der Stiftung Mercator Schweiz unterstreicht die prekäre Lage des Schweizer Lokaljournalismus. Die Autoren skizzieren Massnahmen, um lokale Medien zu stärken.

Der Lokaljournalismus in der Schweiz kämpft seit Jahren um sein Überleben. Seit 2003 wurden über 70 Regionaltitel eingestellt. Mit dem Nein zum Mediengesetz im Februar 2022 hat sich die Lage zusätzlich verschärft. Lokale Medien sind wichtig für den demokratischen Prozess – bei der Meinungsbildung und zur Stärkung der kritischen Öffentlichkeit. Unlängst kam eine Studie der Universität Zürich zum Schluss, dass zwischen der Berichterstattung über lokale Politik und der Wahlbeteiligung in Gemeinden ein direkter Zusammenhang besteht.

Die Stiftung Mercator Schweiz hat vor diesem Hintergrund eine explorative Analyse in Auftrag gegeben: Welche Unterstützung braucht der Schweizer Lokaljournalismus? Die beiden Medienexperten Stephanie Grubenmann und Konrad Weber sind in Gesprächen mit fast 30 Journalistinnen, Verleger und Branchenexpertinnen dieser Frage nachgegangen.

Entstanden ist eine Bestandsaufnahme der dringlichsten Bedürfnisse im Schweizer Lokaljournalismus – mit einem Fokus auf eigenständige Verlage. Darauf aufbauend haben die Autoren diverse Massnahmen zur Unterstützung der Lokalmedien identifiziert – mit einem ganzheitlichen Blick auf Stiftungen, Verbände, Bund und Kantone. Die Analyse bestätigt: Es braucht für das Überleben des Schweizer Lokaljournalismus jetzt ergänzende Formen der Medienförderung.

Die Autoren betonen, wie die Klimakrise die bestehenden Herausforderungen verschärft: In unserer Gesellschaft ist das Bedürfnis nach einem funktionierenden Journalismus grösser denn je. Und auf die durch die Digitalisierung strapazierten Verlage kommen zusätzlich enorme Herausforderungen zu. Neue Formen der Medienförderung müssen zeitnah und in einem agilen Prozess entwickelt werden. Es brauche keine Gesamtlösung, die nur auf einen Schlag umgesetzt werden kann. Mit diesem Weg ist zu viel Risiko verbunden. Stattdessen sollten so schnell wie möglich mehrere Piloten gestartet werden, die auf unterschiedliche Ansätze setzen, so die Autoren der Studie. So werde das Risiko verteilt und Vielfalt etabliert, was zum föderalen System passe. Neben Stiftungen brauche es in den nächsten Jahren die kantonale Ebene, um neue Formen der Medienförderung anzustossen und zu tragen. Die Zeit, bis auf nationaler Ebene ein neuer Konsens steht, müsse konstruktiv genutzt werden. (pd/mj)

Zur Studie

Quelle: persönlich.com, 04.10.22

«Die Zeit für lange Diskussionen ist vorbei»

Wie kann unabhängiger, lokaler Journalismus finanziert werden? Die Medienexperten Stephanie Grubenmann und Konrad Weber skizzieren in einer Studie Massnahmen zur Unterstützung von Lokalmedien. Dafür haben sie mit 30 Journalistinnen, Verlegern und Branchenexpertinnen gesprochen.

Von: Maya Janik

Frau Grubenmann, wie informieren Sie sich über das Geschehen an Ihrem Wohnort?

Stephanie Grubenmann*: Ich mag es, mit dem Newsletter von Tsüri in den Tag zu starten. Durch das abgeschlossene Newsletter-Format verliere ich mich morgens nicht in Updates und ich mag den Fokus, den das Team bei seiner Kuratierungsleistung setzt.

Welche lokale Zeitung haben Sie heute gelesen, Herr Weber?

Konrad Weber**: Ich lese Medienartikel fast ausschliesslich via Twitter oder Newsletter. Dort bin ich heute Morgen über einen Artikel des Medien-Start-ups Hauptstadt zur Zukunft des Anzeiger-Modells in Bern gestolpert.

Was macht guten Lokaljournalismus aus?

Weber: Er ist nah bei den Bürgerinnen und Bürgern, unterstützt sie in ihrem Alltag und hinterfragt Geschehnisse – auch und vor allem im Kleinen. Unlängst kam eine Studie der Universität Zürich zu dem Schluss: Je höher die Auflage eines lokalen Medienangebots ist und je häufiger diese Medien über lokale Politik berichten, desto höher fällt die Wahlbeteiligung aus. Guter Lokaljournalismus unterstützt also durchaus die direkte Demokratie.

Grubenmann: Wir lenken in unserer Analyse ja auch den Blick auf die Klimakrise. Die Punkte, die Konrad nennt, lassen sich hier gut veranschaulichen: Wo hat die Klimakrise schon heute konkrete Auswirkungen auf das Leben von Menschen in unserer Gemeinde/Region? Was brauchen die Betroffenen?

Die Lage des Lokaljournalismus ist prekär, beklagen Sie in Ihrer Analyse zur «Unterstützung für den Schweizer Lokaljournalismus». Woran krankt der Lokaljournalismus?

Weber: Es besteht ein grosser Investitionsbedarf vor allem bei der digitalen Infrastruktur und beim Ausbau des Know-hows. Ausserdem wirkt sich der Fachkräftemangel im Lokalen umso stärker aus, viele Medienhäuser klagen über fehlenden Nachwuchs, und in den Redaktionen mangelt es zum Teil an digitalen Skills. Zusätzlich lässt sich das bisherige Finanzierungsmodell gepaart aus Reichweite und Werbung im Lokalen kaum skalieren. Deshalb konnten wir in unserer Studie auch beobachten, dass in den letzten zwei Jahren eine starke Abkehr von diesem Finanzierungsmodell hin zu einer Finanzierung durch Leserinnen und Leser im Digitalen stattgefunden hat.

«Was im Lokaljournalismus funktioniert, hängt auch von der konkreten Zielgruppe ab» – Stephanie Grubenmann

Warum geht es dem Lokaljournalismus finanziell so schlecht?

Grubenmann: Das Finanzierungsmodell basierend auf Werbung hat im Lokalen länger getragen als anderswo. Werbeeinbussen durch die Dominanz der grossen Digitalplattformen sind im Lokalen erst schrittweise zur Bedrohung geworden. Allerdings wirkt sich nun auch das fehlende Know-how über digitale Entwicklungen und die digitale Infrastruktur umso stärker aus. Und: Was im Lokaljournalismus funktioniert, hängt zu einem gewissen Grad von der konkreten Zielgruppe ab. Erkenntnisse lassen sich damit nicht immer 1:1 übertragen, es müssen individuelle Erfahrungen gesammelt werden. Und das ist aufwendig.

Sie haben für die Studie mit fast 30 Journalistinnen, Verlegern und Medienexperten gesprochen. Welches Bild ergibt sich daraus in Bezug auf die Medienförderung?

Weber: Wir konnten gewisse Vorbehalte zur kantonalen Medienförderung verzeichnen. Hier sorgen sich die Medienschaffenden über den Verlust ihrer Unabhängigkeit. Nach dem Nein zum Mediengesetz herrschte bei einer Vielzahl von Verlagen Frust und Resignation. Den kleinen Medienhäusern ist durchaus bewusst, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Wichtigkeit ihrer Arbeit besser zu vermitteln und die Akzeptanz in der Bevölkerung zu stärken. Selbstkritik wurde auch immer wieder geäussert.

Wo besteht der grösste Handlungsbedarf?

Grubenmann: Ich würde es so formulieren: Für mich ist der grösste Handlungsbedarf, jetzt wirklich zum «Doing» zu kommen. Die Zeit für lange Diskussionen ist vorbei.

Weber: Der Finanzbedarf ist ziemlich hoch. Im Mediengesetz war von 120 Millionen Franken während sieben Jahren die Rede. Viele kleine Verlage schleppten sich mit grossen Mühen bis zur Abstimmung. Eine neue Lösung auf nationaler Ebene wird sich allerdings nicht vor 2025 abzeichnen. Deshalb ist nun ein schnelles Vorgehen in kleinen Schritten mit unterschiedlichen Ansätzen notwendig.

«Guter Lokaljournalismus unterstützt die direkte Demokratie» – Konrad Weber

Was wäre der erste wichtige Schritt?

Grubenmann: Wir betonen im Bericht die kantonale Ebene. Da der Finanzierungsbedarf sehr hoch ist und es bis mindestens 2025 dauern wird, bis wir auf nationaler Ebene einen neuen Kompromiss haben, braucht es sie – mindestens über die nächsten Jahre. Wir haben die Vision einer Art Labor auf kantonaler Ebene, in welchem Stiftungen und Kantone zusammenspannen, um mehrere Pilotprojekte zu ermöglichen. Wenn hier mehrgleisig und lösungsorientiert gearbeitet wird, können wir für die nationale Ebene wertvolle Erkenntnisse gewinnen.

Weber: Diese Vision ist nicht ohne Anspruch, dessen sind wir uns bewusst. Ich glaube, wichtig wäre, dass sich die Kantone dazu austauschen und ihre Bereitschaft für diesen Weg signalisieren. Das wiederum würde Stiftungen aktivieren, die bereit sind, sich zu beteiligen. Und dann braucht es Medienschaffende, die sich für die Entwicklung der Massnahmen engagieren. Denn ohne ihre Perspektive wird es nicht klappen.

Wie haben Sie Ihre Gesprächspartner für die Analyse ausgewählt?

Grubenmann: Bei der Auswahl der Gesprächspartner war es uns ein Anliegen, ein möglichst heterogenes Feld an Stimmen abzubilden. So befragten wir von Genf bis Schaffhausen, von Basel bis ins Puschlav bewusst Medienhäuser aus allen Sprachregionen, sowohl aus ruralen als auch urbanen Gebieten. Wir mussten uns aber auch einschränken: Wir haben das Profil Zeitungs- und Digitaljournalismus fokussiert, die Herausforderungen der Rundfunkanbieter konnten wir nur streifen.

War es schwierig, sie von der Teilnahme zu überzeugen?

Weber: Wir erlebten bei unseren Anfragen sehr offene und diskussionsfreudige Gesprächspartner. Wenn nicht aus Termingründen sagten doch sämtliche angefragten Interviewpartnerinnen direkt zu. Viele Verleger und Chefredaktorinnen schätzten es ausserdem, dass sich jemand explizit für die aktuelle Situation der Lokalmedien in der Schweiz interessiert.

Bei welchen Themen gingen die Meinungen der Befragten am stärksten auseinander?

Weber: Wir beobachteten zum Teil starke Unterschiede im Geschäftsmodell. So setzen einige Lokalmedien nach wie vor auf kostenlose Inhalte und versuchen sich durch Reichweite und Werbung zu finanzieren. Andere Anbieter sehen ihre Zukunft im Lesermarkt und investieren aktuell stark in ihre digitale Infrastruktur und ihr künftiges Angebot. Bei den digitalen Neugründungen beobachteten wir ein weiteres Modell, bei dem sich die Nutzerinnen und Nutzer durch finanzielle Beteiligung zu einer spezifischen Lokal-Community zugehörig fühlen wollen.

«Je globaler die Themen, desto mehr findet eine Rückbesinnung auf das eigene Umfeld im Lokalen statt» – Konrad Weber

In welchen Punkten waren sie sich einig?

Weber: Dass Lokaljournalismus ein wichtiger Pfeiler unserer Demokratie in der Schweiz darstellt. Ausserdem entgegneten uns viele mit Stolz über die journalistische und wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Grubenmann: Dieser Wille, selber (wieder) zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell zu finden, ist noch immer stark verankert.

Welche ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Erkenntnis aus der Studie?

Grubenmann: Das Bedürfnis nach qualitativer Information, gerade im Lokalen, ist durch die aktuellen Krisen gestiegen. Für das Überleben des Lokaljournalismus in der Schweiz sind jetzt ergänzende Formen der Medienförderung notwendig. Um die Probleme anzugehen, braucht es keine Gesamtlösung, die nur auf einen Schlag umgesetzt werden kann, sondern mehrere Pilotprojekte mit verschiedenen Ansätzen.

Was hat Sie bei der Auswertung der Ergebnisse überrascht?

Weber: Es war schon zu einem gewissen Grad überraschend, wie kritisch die Situation ist – die sich nach dem Nein zum Mediengesetz nochmals verschärft hat. Der Handlungsbedarf und die entsprechend benötigten finanziellen Mittel sind gross und die Dringlichkeit ist hoch.

Grubenmann: Weniger überraschend, aber sehr schön war das Feedback der Interviewten, ihre Dankbarkeit, dass wir ihnen eine Stimme geben. Persönlich überrascht hat mich, dass ich das Angebot von LocalPoint vorher nicht kannte, und das, obwohl viele Verlage mit diesem Angebot arbeiten. Man lernt immer wieder dazu.

Wie optimistisch sind Sie, dass der Lokaljournalismus eine Zukunft hat?

Weber: Die vergangenen Jahre lehrten uns: Je grösser die Krisen, desto stärker die Orientierung an Qualitätsjournalismus. Je globaler die Themen, desto mehr findet eine Rückbesinnung auf das eigene Umfeld im Lokalen statt. Deshalb sehe ich durchaus eine Chance für Lokaljournalismus – ob in Zukunft noch immer in den bisherigen Formen, bezweifle ich allerdings stark.

*Stephanie Grubenmann hat an der Universität St. Gallen im Team von Miriam Meckel über Innovation im Journalismus promoviert. Danach hat sie mehrere Jahre in diesem Bereich an Hochschulen unterrichtet und geforscht. Unterdessen ist sie als Content-Strategin bei der Digitalagentur Liip tätig. Sie unterrichtet daneben weiterhin im Bereich Journalismus und hält Kontakte zur Schweizer Gesellschaft fu ̈ r Kommunikations- und Medienforschung (SGKM).

**Konrad Weber ist selbstständiger Strategieberater im Bereich der digitalen Transformation. Er berät Geschäftsleitungen von Unternehmen bei der Entwicklung neuer Strategien und begleitet Teams und Organisationen bei tiefgreifenden Veränderungen. Seit über 13 Jahren ist er in der Medienbranche tätig – vor der Zeit als selbstständiger Berater als Digitalstratege bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF.

Zur Studie der Universität Zürich

Quelle: persönlich.com, 04.10.22

Text: Rolf Schöner, Ressort Medienpolitik/Medienkritik

Bild: Keystone/Christian Beutler