Unabhängige Medien unter Beschuss
Der Ständerat hat in der Wintersession eine parlamentarische Initiative aus dem Ständerat abgelehnt. Somit müssen auch Unternehmen in der Schweiz weiterhin Gebühren für Radio und Fernsehen zahlen. Damit wird der Spardruck für die SRG seit der gewonnenen „No Billag“-Abstimmung nicht noch weiter erhöht. Anders sieht die Entwicklung in den letzten Jahren im europäischen Ausland aus: Dänemark beispielsweise hat die Rundfunkgebühren 2018 abgeschafft und in eine Mediensteuer umgewandelt. Seither wird beim dänischen Rundfunk gespart, wo es geht. Generell haben es unabhängige Medien in Europa derzeit schwer. In Polen bekämpft die Regierungspartei PiS die Medienfreiheit, Ungarns « illiberale Demokratie » von Viktor Orbán läuft wie geschmiert mit regierungsnahen Medien, und auch in Deutschland und Österreich stehen die öffentlich-rechtlichen Sender permanent in der Kritik. Die Entwicklung macht auch vor der « Mutter » der öffentlich-rechtlichen Sender Europas, der britischen BBC, nicht halt. Premierminister Boris Johnson persönlich führt hier den Feldzug gegen diese Institution des unabhängigen, kritischen Journalismus. Müssen wir uns ernsthafte Sorgen um unsere Demokratien machen, wenn die vierte Gewalt geschwächt wird?
Ein Artikel aus der NZZ am Sonntag zum Thema BBC und Boris Johnson:
Boris Johnson hat die BBC im Visier
Der britische Premierminister will die öffentlichrechtliche Medienanstalt schwächen.
Sie ist die einflussreichste öffentlichrechtliche Mediengesellschaft der Welt: die BBC. Sie erreicht mit ihren Radio- und Fernsehsendern jede Woche mehr als 420 Millionen Menschen weltweit. Mit ihrer Unabhängigkeit ist sie seit fast hundert Jahren Symbol der britischen Demokratie.
Das sieht der neue Premierminister Boris Johnson allerdings anders. Er wirft der BBC vor, sie habe im Wahlkampf eine zu Brexit-kritische Berichterstattung vorgenommen. Johnson will die BBC deshalb schwächen – zumindest finanziell. Wer die Rundfunk- und Fernsehgebühren von jährlich knapp 155 Pfund (197 Franken) nicht zahlt, soll in Zukunft strafrechtlich nicht mehr belangt werden können, so der Plan der Regierung.
Ein Sprecher der BBC sagte, das könnte die BBC jährlich 200 Millionen Pfund Einnahmen kosten. Die Frage der Lizenzgebühren sei schon 2016 überprüft worden und man sei zum Schluss gekommen, das System vorläufig beizubehalten. Johnson überzeugt dies nicht: «Auf Dauer stellt sich die Frage, ob das Finanzierungsmodell langfristig überhaupt noch geeignet ist, wenn man sieht, wie sich andere Anstalten finanzieren.»
Kampf gegen Fake-News
Die BBC finanziert sich zu 75 Prozent aus den Gebühreneinnahmen, fast 3,6 Milliarden Pfund im Jahr. Den Rest steuert der Verkauf von Fernsehproduktionen bei. Werbung, wie sie bei anderen Sendern geschaltet wird, ist bei der BBC streng reguliert, damit die Anstalt nicht ihre staatlich zugewiesene Neutralität und ihre Reputation riskiert.
Die BBC wurde 1922 geschaffen. Bis heute hat sie ihren Ruf als neutrale Berichterstatterin bewahrt. In Grossbritannien geniesst die Fernseh- und Radioanstalt laut Umfragen bei der Bevölkerung mehr Vertrauen als alle anderen Medien. BBC World Service wird in 42 Sprachen ausgestrahlt und ist, für viele Menschen auf der Welt die wichtigste Informationsquelle.
Den Ruf hat sich die BBC hart verdient. Die Bewährungsprobe für die BBC kam bereits 1926, als die gedruckte Presse im Generalstreik nicht mehr verfügbar war. Der damalige Premierminister Stanley Baldwin liess den Chef der BBC, John Reith, gewähren. Der blieb zwar auf Linie der Regierung, liess aber auch die Streikenden zu Wort kommen und zementierte damit den Ruf der BBC als vertrauensvollen, weitgehend unabhängigen Sender.
Nie wurde die Anstalt radikal gleichgeschaltet wie die deutsche Reichs-Rundfunk-Gesellschaft im Dritten Reich. Das heisst nicht, dass die britische Regierung die BBC im Zweiten Weltkrieg nicht auch für gezielte Propaganda nutzte. Aber die Grundlage, dass die BBC – wie in ihrem Lizenzvertrag festgelegt – unparteiisch bleibt und sich deshalb über Gebühren finanzieren darf, wurde nicht angetastet.
Das tat selbst der frühere Premierminister Tony Blair nicht, als die BBC versuchte, ihm nachzuweisen, dass er das Parlament mit der Behauptung der jederzeit einsatzfähigen Massenvernichtungswaffen des irakischen Machthabers Saddam Hussein in die Irre geführt hatte.
Erst der ehemalige Finanzminister George Osborne setzte bei der BBC den Rotstift an. Er zwang die Organisation, die ihre Top-Journalisten fürstlich entlöhnt und sich einen Internetauftritt leistet, der so mancher Zeitung das Leben schwer macht, eine Sparrunde auf.
Der Brexit ist die erste grosse politische Herausforderung für die BBC. Das endlose Drama um den Ausstieg aus der EU spaltete das Land und die Politik tief. Die BBC achtete penibel auf eine ausgewogene Berichterstattung. Doch sie hinterfragte nicht die Argumente beider Seiten. Seit der Annahme des Referendums zog sie Lehren daraus und führt «Reality Checks» durch, prüft also, ob die Behauptungen der Politiker stimmen. Andere Medien sind auf den Zug aufgesprungen.
Johnson wird oft mit dem US-Präsidenten Donald Trump verglichen, der als Erster damit angefangen hat, ihm nicht genehme Berichte als Fake-News zu verunglimpfen.
Drohungen von Brexit-Abgeordneten, die BBC arbeite parteiisch, liess der Chef der BBC, Tony Hall, nicht gelten. Er pocht gerade jetzt auf die politische Unabhängigkeit der BBC. Der Kampf gegen Fake-News sei eines der wichtigsten Ziele des Jahres gewesen. Künftig sollen noch mehr Faktenprüfungen vorgenommen werden.
Das stört Boris Johnson und seinen Berater Dominic Cummings. Cummings wird vorgeworfen, die Meinung der Bevölkerung vor allem manipulieren zu wollen. Cummings versucht den Wahlkampf über das Internet und die sozialen Netzwerke zu steuern. Fernsehauftritte mit kritischen Journalisten lehnten Johnson und seine Regierungsmitgliedern weitgehend ab.
88 Prozent der von der Konservativen Partei auf Facebook gestreuten «Nachrichten» waren irreführend, berichtete die Analysegesellschaft First Draft laut einer Studie Anfang Dezember. Dazu gehörten auch die von Johnson wiederholten Behauptungen, die Regierung werde 40 neue Krankenhäuser bauen und Stellen für 50 000 zusätzliche Krankenschwestern schaffen.
Als sich Johnson und Oppositionsführer Jeremy Corbyn ein Fernsehduell gaben, prüften viele Zuhörer auf dem Twitter-Account «Factcheck UK» nach, ob die Behauptungen stimmten. Was sie nicht ahnten: der Twitter-Account war der verkappte Auftritt der Presseabteilung der Konservativen Partei.
Lügen ohne Folgen
Johnson ist der erste Premierminister, der sich weitgehend über die traditionellen Medien hinwegsetzen kann. Selbst Premierministerin Margaret Thatcher unterzog sich regelmässig bohrenden Interviews von 30 bis 45 Minuten Länge. Aber damals gab es noch kein Internet, keine sozialen Netzwerke, auf die Politiker ausweichen konnten.
Johnson wird oft mit dem US-Präsidenten Donald Trump verglichen, der als Erster damit angefangen hat, ihm nicht genehme Berichte als Fake-News zu verunglimpfen. Die «Washington Post» hat Trump mittlerweile 10 000 unwahre Behauptungen nachgewiesen.
«Es darf nicht zur Selbstverständlichkeit werden, dass Politiker lügen und niemand sie zur Rechenschaft zieht», sagte die Leiterin der Nachrichtenabteilung des britischen Channel 4, Dorothy Byrne.
Eine Untersuchung von Channel 4 ergab, dass nur gerade 4 Prozent der Testpersonen erkennen können, ob Nachrichten wahr oder falsch sind. «Johnson ist nachgewiesenermassen ein Lügner. Das Publikum hat Anspruch darauf, dass man die Lügen der Politik beim Namen nennt.»
Nach diesen Aussagen sagte Johnson die Fernsehdebatte über Klimawandel auf Channel 4 ab. Die Fernsehanstalt ersetzte ihn im Studio durch eine Eisskulptur. Ein frostiger Tiefpunkt zwischen den führenden Politikern und den Medien.
Quelle: NZZ am Sonntag, 5. Januar 2020