So nah und doch so fern
Die Coronapandemie führt zu einem Paradox im Radioprogramm: Die Tonqualität ist besser denn je. Immer mehr Gesprächsgäste erklingen in Studioqualität. Gleichzeitig haben die persönlichen Kontakte zwischen Journalist*innen und Auskunftspersonen aber abgenommen. Wie geht das?
Seit März 2020 arbeiten viele Redaktor*innen mehr oder weniger konsequent im Homeoffice. Nur noch Tageschef*in, Moderator*in und Frühdienst müssen ins Studio nach Aarau: Die Livesendungen kann man aus technischen Gründen nicht daheim produzieren. Einzelne Beiträge für das Regionaljournal aber sehr wohl. Viele Regi-Mitarbeitende verfügen inzwischen über veritable kleine «Heimstudios» (wir haben in einem SRG-Newsletter darüber berichtet).
Was aufmerksamen Hörer*innen dabei vielleicht aufgefallen ist: Seit Ausbruch der Coronapandemie sind Gesprächsgäste und Auskunftspersonen immer häufiger in sehr guter Tonqualität zu hören. Wir verwenden seltener als früher Aufnahmen aus Telefongesprächen. Die Erklärung dafür ist einfach: Technisch sind Mitschnitte von Telefongesprächen im improvisierten Heimstudio kaum zu realisieren. Dafür sind nämlich teure Gerätschaften notwendig.
Das «Telefoninterview» ist quasi passé
Die Reporterinnen und Reporter der Regionalredaktion sind deshalb auf neue technische Möglichkeiten ausgewichen: Wir interviewen Auskunftspersonen über Skype oder ähnliche Dienste oder lassen die Interviewpartner*innen ihre Antworten auf ein Smartphone aufzeichnen. Dann schicken sie ihre Aufnahmen an die Redaktion, so dass wir sie in unseren Beiträgen verarbeiten können. Sowohl Skype-Gespräche als auch Smartphone-Aufnahmen klingen viel besser als «normale» Telefonleitungen – immer häufiger haben wir also quasi «Studioqualität».
Paradox ist diese Situation deshalb, weil die Journalistinnen und Journalisten durch die Coronapandemie viel weniger direkten Kontakt zu Auskunftspersonen pflegen können als früher. Medienkonferenzen gibt es kaum mehr, sie finden – wenn überhaupt – virtuell statt. Viele Menschen möchten aktuell auch keine fremden Gäste empfangen, die klassische «Reportage vor Ort» ist deshalb zu einem seltenen Format im Radioprogramm geworden. Und auch wir dürfen nur noch in Ausnahmefällen in die Studios in Solothurn und Aarau einladen – die SRG hat strenge Schutzmassnahmen vorgeschrieben.
Die neuen technischen Möglichkeiten führen also zu einer besseren Tonqualität, zu mehr «gehörter Nähe» im Radioprogramm. Dies, obwohl es viel weniger direkte Interviews von Angesicht zu Angesicht gibt. Die Distanz zwischen Journalist*innen und Auskunftspersonen ist so gross wie noch nie – aber man hört sie nicht mehr.
Es lebe der persönliche Kontakt!
Aus Hörersicht ist die Distanz also kein Thema – es klingt ja gut. Aus journalistischer Sicht aber führt die Distanz tatsächlich zu Problemen. Denn Radiobeiträge und Onlineartikel leben nicht allein von den Aussagen der Protagonist*innen, sondern auch von den persönlichen Eindrücken der Autor*innen. Nur wer als Journalist*in vor Ort geht, kann sich ein eigenes Bild über die Situation verschaffen. Nur wer einen Menschen persönlich trifft, kann auch Eindrücke zur Person in sein journalistisches Werk einfliessen lassen. Und nicht zuletzt bieten Interviewtermine auch immer die Gelegenheit für weiterführende Hintergrundgespräche – nicht selten entstehen aus solchen Unterhaltungen weitere spannende Geschichten für unsere Hörerinnen und User.
Die Pandemie lehrt uns Journalist*innen also zwei Dinge: Technisch sind die Möglichkeiten «gäbiger» denn je. Das erleichtert uns die Arbeit, sicherlich auch in Zukunft. Gleichzeitig wurde uns gerade im Homeoffice bewusst, wie unglaublich wichtig die persönlichen Kontakte für unseren Beruf sind. Nach der Pandemie gilt es, diese beiden Erkenntnisse sinnvoll zu verknüpfen: vom technischen Fortschritt profitieren wo nötig, die persönlichen Kontakte aber wieder pflegen wo immer möglich.
Maurice Velati
Leiter Regionalredaktion