«acting reporter»: Wenn die Reporterin plötzlich im Zentrum steht
Tagesaktuell einen Beitrag stemmen, in kurzer Zeit die Interviewpartner organisieren und zu einem dringenden Thema informativ und verständlich in 2 Minuten und 30 Sekunden erklären, um was es geht: So sieht der Alltag auf dem Korrespondentenposten in Aarau häufig aus, auch im Corona-Jahr 2021 war dies nicht anders.
Doch es gibt Ausnahmen. Beiträge, die von langer Hand geplant werden, besonders in die Tiefe gehen und durch eine spezielle Machart auffallen. Die Rede ist von «acting reporter»: Der Reporter beziehungsweise die Reporterin ist mehr als nur Aufbereiter oder Übermittler des Themas, er ist Teil des Beitrags. Einerseits indem er selber sichtbar ist und teils gar als Erzähler fungieren kann. Andererseits indem er seine persönlichen Eindrücke schildert. Dafür eignet sich beispielsweise ein Thema, mit dem sich der Reporter seit Langem befasst und zu dem er entsprechend mehr erzählen kann als andere.
2021 tauchte ein Thema in der Region Aargau Solothurn auf, das sich für einen «acting reporter»-Beitrag regelrecht anbot: die Weiterentwicklung des Attisholz-Areals in der Nähe von Solothurn. Aufgrund von Recherchen zeigte sich, dass das Areal bald eine grosse Veränderung erleben sollte: Der Solothurner Regierungsrat war kurz davor, grünes Licht für die Neubelebung des Areals zu geben, unter anderem mit Wohnungen.
Bähram Alagheband entschied sich, diese News zum Anlass zu nehmen, die Geschichte des Areals nochmals aufzurollen und als Erzähler durch das Thema zu führen. Als Reporter bei Radio32 war er im Jahre 2008 vor Ort, als die Zellulosefabrik auf dem Attisholz-Areal geschlossen wurde. Der Beitrag startet demnach mit Archivaufnahmen, unter anderem aus der Halle, in der die Hiobsbotschaft verkündet wurde, und in der gleichen Halle steht der Reporter dann im Hier und Jetzt. Er blickt zurück anhand von eigenen Erinnerungen und spricht in der Halle mit einem damaligen Mitarbeiter.
Drohnenbilder führen jeweils von einem Schauplatz des Attisholz-Areals zum nächsten und beleben einen Ort, der aufgrund der kalten Temperaturen zum Drehzeitpunkt nicht sehr belebt wirkt. Die Drohne zeigt nicht nur ungewöhnliche Aufnahmen aus riesigen Fabrikhallen, sondern begleitet den Reporter auch auf seiner Reise durch das Areal.
Dadurch entsteht ein aufwändig produzierter und persönlicher Beitrag, der die Zuschauenden mitnimmt und eine andere Art der Berichterstattung aufzeigt. Aufwändig ist der Beitrag aus zwei Gründen: Einerseits werden mit der Drohne und mit der normalen Kamera Aufnahmen gemacht , die genau aufeinander abgestimmt werden müssen. Es ist also von Vorteil, alles an einem Tag abzudrehen, um keine unterschiedlichen Wetterverhältnisse zu haben. Und so müssen auch die Protagonisten alle an einem Tag erscheinen, was zu einem sehr langen und aufwändigen Dreh führt.
Andererseits muss vorab haargenau geklärt werden, welcher Text zwischen den Interviews vom Off-Sprecher erzählt wird. Dieser Text wird nämlich direkt am Drehtag durch den Erzähler gesprochen – er entsteht also nicht wie gewöhnlich im Schnitt und kann deshalb nicht beliebig angepasst werden. So muss auch vorgängig klar sein, welcher Interviewpartner welche Statements abgibt und wo diese im Beitrag platziert werden. Der Beitrag wird also bis ins Detail geplant und gemäss einem vorgängig erstellten Drehbuch produziert. Der Aufwand ist also um einiges grösser und braucht mehr Vorlauf als ein «normaler» Beitrag.
Dadurch entstehen aber auch Vorteile. Erstens: Dank des Drehbuchs können offene Fragen oder allfällige Ungereimtheiten bereits im Vorfeld aus dem Weg geräumt werden. Zweitens: Es muss weniger gedreht werden, weil im Vornherein schon klar ist, welche Bilder benötigt werden. Drittens: Der Schnitt beansprucht – trotz des grossen Aufwands für den Beitrag – weniger Zeit, weil das Drehbuch die einzelnen Sequenzen bereits vorgibt und der Beitrag dadurch zügig geschnitten werden kann.
Fazit: Ein «acting reporter»-Beitrag ist im Vorlauf zwar aufwändiger als andere Beiträge, in der Produktion aber ist der Aufwand nicht unbedingt grösser. Was an Vorbereitung an Zeit investiert wird, kann zu einem Teil im Schnitt kompensiert werden. Klar ist: Solche Beiträge sind im Korrespondenten-Alltag, der vor allem geprägt ist durch die Aktualität, die Ausnahme. Sie können auch nicht für alle Themen angewendet werden. Aber sie beleben den TV-Alltag sowohl für die Zuschauenden wie auch für Korrespondentinnen und Korrespondenten.
Attisholz-Areal: Von der Industriebrache zur urbanen Spielwiese («Schweiz aktuell» vom 7. Dezember 2021)