Wenn keine Berichterstattung der bessere Journalismus ist
Die Pandemie hat auch das Jahr 2021 in der Regionalredaktion geprägt. Wir berichteten intensiv über den Verlauf von Infektions- oder Impfzahlen. Neben der Frage, wie man darüber berichten soll, wurde auch die Frage nach dem Wieviel immer wichtiger.
Die SRG hat in allen Phasen der Corona-Pandemie über besonders strenge Schutzmassnahmen verfügt. Homeoffice-Pflicht, Schutzmasken im Büro, Zertifikatspflicht. Diese Regeln haben ihre Wirkung entfaltet: An den Standorten Aarau und Solothurn gab es in der ganzen Corona-Zeit keine einzige interne Ansteckung. Das ist nicht selbstverständlich und auch der grossen Disziplin der Mitarbeitenden zu verdanken.
Die Redaktionssitzungen wurden virtuell durchgeführt, die Radiobeiträge und App-Artikel entstanden auch 2021 häufig in den ganz unterschiedlich eingerichteten Heimbüros der Reporterinnen und Reporter. Wir haben uns daran gewöhnt.
Die Pandemie sorgt für Nachrichtenstoff
Die Regionalredaktion leistete aus meiner Sicht wie immer gute journalistische «Büez», zum Beispiel einen grossen Service rund um die Solothurner Kantonswahlen. Die Pandemie sorgte dafür, dass wir uns niemals über Themen-Notstand zu beklagen hatten. Sich ständig verändernde Massnahmen, eine schleppend verlaufende Impfkampagne, ein überlastetes Contact-Tracing, der immer wieder grassierende «Kantönligeist» – das alles bot ausreichend Stoff für die tagesaktuelle Berichterstattung aus den Kantonen Aargau und Solothurn.
Natürlich haben wir in der Redaktion oft und intensiv darüber diskutiert, ja sogar gestritten, «wie viel Corona» wir im Programm haben sollen. Ob das Thema unserem Publikum nicht langsam verleidet. Es ist nicht immer einfach, die richtige Balance zu finden. Vor allem, wenn gesicherte Fakten fehlen, dafür aber starke Meinungen dominieren.
Nicht jede Demonstration ist einen Beitrag wert
Wir sind verpflichtet, über wichtige Entscheidungen in der Politik zu berichten, diese kritisch zu hinterfragen. Neue Corona-Schutzmassnahmen sind wichtige politische Entscheidungen. Denn sie betreffen uns alle. Aber natürlich kann die ständige Fokussierung auf dieses eine grosse Thema zu einer (Über-)Sättigung führen. Dasselbe gilt für die auch in unserer Region durchgeführten Demonstrationen von Massnahmenkritikern und Corona-Leugnerinnen.
So kam es 2021 mehrmals vor, dass wir Reporterinnen und Reporter nach Baden, Aarau oder Solothurn zur Beobachtung solcher Kundgebungen schickten. Unser kleines Team hat diesen grossen personellen Aufwand betrieben, damit wir mit eigenen Augen sehen konnten, was läuft, und uns also nicht auf Angaben von Organisatoren oder Behörden verlassen mussten. In einigen Fällen haben wir trotz Personal vor Ort dann auf eine breite Berichterstattung verzichtet, im Gegensatz zu anderen Medien, die auch kleine oder kleinste Kundgebungen mit Liveticker oder Livestreams verfolgten. Wir aber sind – so meine Überzeugung – dazu verpflichtet, Ereignisse nach ihrer Relevanz für die Gesellschaft zu beurteilen.
Warum sollten wir also über eine Demo mit 50 Teilnehmenden berichten? Teilnehmende, die an den Wochenenden zuvor bereits in anderen Städten mit denselben Spruchtafeln und Kostümen demonstriert haben? Über die regelmässig stattfindenden Demonstrationen von kurdischen Organisationen am Bahnhof Aarau berichten wir nie – dort sind jeweils ähnlich viele Teilnehmende versammelt. Solche Fragen haben wir auch an den Wochenenden in Gesprächen – halt am Telefon statt am Sitzungstisch – jeweils gemeinsam diskutiert und dann entschieden.
Das Jahr 2021 war also geprägt von schwierigen journalistischen Entscheidungen. Ein solches Jahr zeigt aber eben, dass Qualität im Journalismus ein sehr vielschichtiges Thema ist. Auch der bewusste Verzicht auf Berichterstattung ist ein Zeichen von hoher Qualität, wenn die Entscheidung dazu in einem seriösen Prozess gefällt wurde. Diesen Anspruch – so glaube ich – haben wir auch 2021 meistens erfüllt.