Die schwierige Suche nach dem richtigen Wort
Als ich Kind war, haben wir noch Mohrenköpfe gegessen, Indianer-Filme geschaut und Eskimo gespielt, wenn genügend Schnee lag, um ein Iglu bauen zu können. Das geht heute nicht mehr. Es kann zwar schon noch ab und zu zünftig schneien. Aber das Wort «Eskimo» gilt heute als beleidigend, man dürfe es nicht mehr sagen, sagen viele. Es war zwischenzeitlich mit «Rohfleischesser» übersetzt und deshalb von den Inuit abgelehnt worden. Nun hat sich inzwischen zwar herausgestellt, dass die Übersetzung falsch war, doch diese Erkenntnis hat sich wiederum beim breiten Publikum noch nicht durchgesetzt. «S isch kompliziert», würde Komiker Bänz Friedli an dieser Stelle wohl sagen. Und es wird noch komplizierter: Als Inuit bezeichnen sich nur Eskimo, die in Kanada leben. In Alaska nennen sie sich Inupiak und Yupik. Eigentlich ist es also falsch, den Begriff Eskimo einfach mit Inuit zu ersetzen.
Im Frühling hat uns eine Hörerin geschrieben. Sie kritisierte, dass wir im Regionaljournal Aargau Solothurn von Menschen mit einer Behinderung gesprochen haben. Das sei abwertend, es müsse Beeinträchtigung heissen. Ist dem so? Pro Infirmis bezeichnet sich als «Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen», dieses Jahr hat die Schweiz die «UNO-Behindertenrechtskonvention» gefeiert, 2023 fand in Bern die erste «Behindertensession» statt, und PluSport schreibt von sich als Vereinigung für den «Behindertensport». Wir seien deshalb der Ansicht, nach wie vor von «Menschen mit Behinderungen» sprechen zu können, habe ich der Hörerin im Mai zurückgeschrieben. In der Zwischenzeithabe ich gelesen, dass Personen mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung, deren Zustand sich nicht verbessern kann, als «Menschen mit Behinderung» bezeichnet werden möchten, Personen, deren Zustand sich bessern kann, aber als «Menschen mit Beeinträchtigung». S isch kompliziert…
In der Redaktion diskutieren wir immer wieder und lange über die richtige Verwendung einzelner Wörter. Oft ist es ein Spagat zwischen diskriminierungsfreier und verständlicher Sprache, eine Gratwanderung zwischen sensiblem und einfachem Sprachgebrauch. «Lustig ist das Zigeunerleben», haben wir als Kinder noch unbeschwert am Lagerfeuer gesungen. Dann kam die Weisung, es sei von «Fahrenden» zu sprechen. Und nun hat unser Redaktor erfahren, dass diese nicht mehr so genannt werden möchten, sondern Jenische und Sinti. Sollen wir darauf Rücksicht nehmen oder bei «Fahrende» bleiben, weil sich die Hörerschaft endlich daran gewöhnt hat und mittlerweile sofort weiss, wer gemeint ist?
In den Publizistischen Leitlinien von SRF heisst es: «Die Sprache muss auf Anhieb verständlich sein» und «Die Sprechweise soll natürlich sein und nicht vom Inhalt ablenken». Es heisst aber auch: «Wenn gesellschaftliche Veränderungen die Sprache beeinflussen, setzen wir uns damit auseinander und nehmen auf, was zu einer ‹gemässigt-zeitgemässen› Ausdrucksweise gehört» und «Unseren Willen zum sensiblen Sprachgebrauch zeigen wir insbesondere bei der Berichterstattung über Gruppen mit spezifischen Identitäten, indem wir uns konstruktiv mit den Vorschlägen zu Sprachregelungen der entsprechenden Interessenverbände auseinandersetzen».
Was heisst das nun, wenn wir über die Randständigen in der Stadt Olten berichten? Wir haben sie gefragt, wie sie genannt werden möchten. Die Anwesenden einigten sich auf «Szenengänger». Versteht unser Publikum den Begriff? Im Radiobeitrag haben wir dann beide Ausdrücke verwendet.
Oder die Sache mit der Hautfarbe von Kamala Harris. Es wurde im Hause kontrovers diskutiert, wie die Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten bezeichnet werden soll: als «schwarz», «nicht-weiss» oder «person of color»? Die Lösung: Kamala Harris ist «afro-amerikanischer und asiatisch-amerikanischer Herkunft» oder hat «afrikanische und asiatische Wurzeln». Das ist sachlich korrekt, aber auch ziemlich umständlich.
Sprache wandelt sich, Befindlichkeiten wandeln sich. Wir müssen uns deshalb immer wieder aufs Neue damit auseinandersetzen, welches Wort noch geht, und welches nicht mehr. Ich kann Ihnen versichern, dass wir diese Diskussionen auf der Regional-Redaktion mit Leidenschaft führen, aber auch im Wissen darum, was das Sprichwort sagt: «Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann».
P.S.: Was halten Sie von Begriffen wie «Randständige» oder «Szenengänger»? Schreiben Sie uns, dann bekommen wir ein besseres Gespür dafür, was aus Sicht des Publikums geht und was nicht.
Autor: Marco Jaggi