Die Qual der Wahl

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Bild: Marco Jaggi, Redaktionsleiter SRF Regionaljournal Aargau Solothurn

Über 10'000 neue gedruckte Bücher werden in der Schweiz jedes Jahr veröffentlicht. Das seien zu viele, sagte mir kürzlich ausgerechnet ein Verleger. In den Buchläden würden die potenziellen Leserinnen und Leser vom Angebot erschlagen.

Bei den elektronischen Medien ist es gleich. Heute kann bzw. muss man auswählen aus hunderten TV-Sendern, Radio-Stationen, Online-Plattformen, Podcasts, Youtube-Kanälen. Ein durchschnittlicher Konsument ist mit so viel Auswahl schnell überfordert.
Als ich noch Kind war, war es komplett anders. Da hatten wir genau drei TV-Sender: den Deutschschweizer, den Welschen und den Tessiner. Viel auszuwählen gab es nicht. Wollte man die einzige Trickfilm-Sendung schauen – «Scacciapensieri» –musste man am Samstag den Tessiner einschalten. Wer eine Folge verpasste, hatte Pech gehabt, zeitversetztes TV-Gucken gab es nicht.

Im Gespräch erzählte mir der Verleger, er könne jedes Jahr etwa 10 bis 12 Bücher herausbringen. Allerdings bekomme er 400 Manuskripte zugeschickt – Manuskripte von Schreibenden, die alle finden, ihr Buch habe es verdient, gedruckt zu werden.

In unserer Regionalredaktion ist es ähnlich. Im «Regionaljournal» haben wir (neben den Kurzmeldungen) Platz für etwa 30 Beiträge pro Woche. Gleichzeitig gibt es aber ein Vielfaches an Veranstaltungen. Wir bekommen zahlreiche Zuschriften mit Hinweisen auf Schlossopern, Schulfeste oder das Jubiläums-Turnier des Volleyballclubs. Und selbstredend finden alle Organisatoren und Medienbeauftragte, über ihren Event müssten wir unbedingt berichten.

Ich möchte mich heute einmal bedanken und entschuldigen. Bedanken bei allen, die uns regelmässig Mails schicken mit Hinweisen auf Anlässe. Von Vielem, das in der Region passiert, würden wir sonst gar nicht erfahren. Und entschuldigen, weil wir in etlichen Fällen dann halt doch keinen Radiobeitrag machen – weil es schlicht zu viel ist.

Es ist enorm beeindruckend, was schon nur an Kultur- und Sport-Anlässen in zwei Kantonen jahrein, jahraus veranstaltet wird: Da gibt es die Kabaretttage, Filmtage, Literaturtage, Barocktage, Radsporttage, den internationalen Museumstag, den Schweizer Mühlentag, die Jazznacht, Burghofnacht, Erzählnacht, Industrienacht, die lange Nacht der Kirchen, das Bluesfestival, Gauklerfestival, Solsbergfestival, den Aarauer Altstadtlauf, Grenchenberglauf, Hallwilerseelauf, Oesch-Lauf, gefühlt jede Woche eine Schulhauseinweihung, jeden Monat einen Tag der offenen Türe einer Abwasserreinigungsanlage, nicht zu vergessen die Dutzenden Musikfeste und Turnfeste, Freilichttheater, Freilichtoperetten, Freilichtkinos, die Prämierung der besten Aargauer Weine, der besten Aargauer Kirschen, der besten Solothurner Sportlerinnen, der zukunftsträchtigsten Start-Ups, der schönsten Gärten, der kulturhistorisch wertvollsten Häuser und und und und und.

Im Grunde ist es simpel: Wir können einfach nicht über alles berichten. Wir können nicht jeden Quartiertreff vorstellen, alle Vereinsversammlungen besuchen, an jedes Podium gehen, sämtliche Theaterpremieren anschauen und alle Jubiläen thematisieren. Unsere Redaktion müsste zehnmal so gross und unsere Sendungen fünfmal so lang sein, um schon nur alles zu berücksichtigen, auf das wir hingewiesen werden. Das geht einfach nicht.

Ich verstehe, dass viele enttäuscht sind. Weil wir nichts bringen über die Gospelmesse ihres Kirchenchors. Oder weil wir an der Fasnacht nur eine kleine Zusammenfassung der Schnitzelbänke aus der Stadt Solothurn senden. In Olten gebe es mindestens so gute Schnitzelbänke, echauffierte sich dieses Jahr eine Hörerin. In Baden und Zofingen übrigens auch, könnte man anfügen.

Ich verstehe auch, wenn einige kein Verständnis haben, wenn wir über den Mittelaltermarkt auf Schloss Lenzburg berichten, aber nicht über die Slow-Ups Brugg und Buechibärg. Oder wenn wir die Bühne Burgäschi besuchen, aber nicht das Märchenfestival auf Schloss Wildegg. Es liegt in der Natur der Sache, dass alle finden, ihr Thema sei wichtiger als das der anderen. Ich bin selber auch in zwei Vereinen, die nicht immer die Aufmerksamkeit bekommen, die sie meiner Meinung nach verdient hätten.

Dass wir im Regionaljournal keinen Beitrag über das 100-Jahr-Jubiläum der Trachtengruppe Baden oder das Schülerfussballturnier des Sonderpädagogischen Zentrums Bachtelen gebracht haben, hat also damit zu tun, dass wir einfach nicht über alles berichten können. Es hat aber auch damit zu tun, dass wir als Nachrichten-Magazin keine Veranstaltungshinweise bringen, die reinen Werbe-Charakter haben. Das ist nicht unsere Aufgabe. Und es hat damit zu tun, dass wir über «Geschichten» berichten und manchmal keine sehen. Wenn die Gemeindepräsidentin in stiller Wahl bestätigt wird, ist das weniger interessant, als wenn es Kampfwahlen gibt. Oder wenn der Bisherige vom Volk wiedergewählt wird, ist das weniger spannend, als wenn er nach 16 Jahren im Amt plötzlich abgewählt wird. Und so ist das auch mit dem Solothurner Chäs-Tag und der Flieger-Chilbi Schupfart: Wenn alles so ist wie immer und wunderbar klappt, kann das vielleicht eine kurze Meldung sein, ist aber keine News-Geschichte.

Zum Schluss möchte ich nochmals danken. Und zwar den vielen Menschen, welche die unzähligen Feste, Turniere, Konzerte, Leseabende, Ausstellungen und Wettkämpfe organisieren und durchführen. Egal, ob nun über das Fischknusperli-Essen des Pontoniervereins berichtet wird oder nicht: Euer Engagement ist super! Es ist grossartig, wie dank euch unsere Region lebt!

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