«Ärztinnen und Ärzte» – oder: «Gender-Gaga jetzt auch im Regionaljournal?»
Sorry für die reisserische Überschrift, aber vielleicht dient sie ja dazu, dass dieser Artikel auch gelesen wird. Denn er ist mir wichtig. Diversität ist das Thema der Stunde in vielen Medienhäusern. Auch die Regionalredaktion Aargau Solothurn bemüht sich vor allem darum, gezielt mehr weibliche Stimmen ins Programm zu bringen. Aber das ist erst der Anfang.
Im Rahmen des Projekts «Chance 50:50» haben die Kolleginnen Nina Gygax und Isabelle Maissen (beide arbeiten im Studio Bern) die Informationssendungen von Radio SRF untersucht. Sie haben überprüft, wie gross der Anteil an weiblichen Protagonistinnen ist in den Beiträgen und wie geschlechterneutral formuliert wird in Nachrichtentexten. Das Resultat für die Regionalredaktion Aargau Solothurn ist erfreulich und etwas ernüchternd zugleich.
35 Prozent der Stimmen waren weiblich im untersuchten Zeitraum im November – geprüft wurden die Abendsendungen des «Regionaljournals». Die geforderten 50 Prozent wurden also klar verfehlt, allerdings ist der Frauenanteil im Programm im Vergleich zum Frühling deutlich gestiegen.
Fortschritte hat die Redaktion auch im Bereich geschlechterneutrale Sprache gemacht: Wurde im Frühling dieses Jahres noch in fast 40 Prozent aller Fälle ein generisches Maskulinum verwendet, so sank dieser Anteil im November auf 20 Prozent. Das heisst: Die Redaktion textet bewusster, verwendet immer konsequenter neutrale Bezeichnungen («Lehrpersonen» statt «Lehrer») oder nennt beide Geschlechter («Lehrerinnen und Lehrer»). Auch hier sind die anfangs Jahr gesteckten Ziele (ein kompletter Verzicht auf generisches Maskulinum) zwar verfehlt, aber die Richtung der Entwicklung stimmt.
Warum ist das überhaupt wichtig?
Man könnte ja einwenden, dass Journalistinnen und Journalisten die Realität abzubilden haben. Und die Realität ist nun einmal, dass a) Frauen in wichtigen Positionen noch immer untervertreten sind und b) der «normale Sprachgebrauch» (wobei man dann wohl noch zu definieren hätte, was darunter genau zu verstehen wäre) halt das generische Maskulinum immer noch bevorzugt.
Ich halte dagegen: Frauen machen über 50 Prozent der Bevölkerung aus. Es ergibt also schlicht keinen Sinn, wenn in unseren Sendungen ständig männliche Protagonisten zu hören sind (und ja, auch beim eigenen Personal sind die Männer in der Überzahl – wir haben also sowieso schon einen Überhang an männlichen Stimmen im Programm). Und im sprachlichen Bereich gibt es inzwischen ausreichend Indizien dafür, dass Sprache auch Denkmuster transportiert und festigt (interessant dargestellt z.B. in diesem Artikel im Wissenschaftsmagazin Spektrum oder konkret an der «Genderfrage» in diesem Interview mit Sozialpsychologin Sabine Sczesny in der Frankfurter Rundschau). Es macht also Sinn, wenn wir auf das generische Maskulinum verzichten und Frauen damit auch in unseren Texten «hörbarer» (auf der SRF News App auch «sichtbarer») machen.
Warum ist das so schwierig?
Gerade im Dialekt – und die «Regionaljournale» senden bekanntermassen auf Mundart – sind neutrale Bezeichnungen oft «störend», auch wenn ich feststelle, dass jüngere Mitarbeitende in der Redaktion damit viel weniger Mühe haben als ältere... sie haben sich daran gewöhnt, dass man eben von «Lehrpersone» spricht oder «di Mitarbeitende vo dere Firma» sagt. Ich setze weiterhin lieber auf Beidnennung, «d Wüsseschafterinne und Wüsseschafter säged»... auch wenn die konsequente Verwendung beider Geschlechter natürlich a) schwerfällig klingt und b) die Beiträge verlängert. Diesen Preis bezahle ich aber gerne dafür, dass wir in unseren Texten die Frauen nicht mehr einfach glattweg ignorieren.
Etwas schwieriger gestaltet sich tatsächlich die Umsetzung der Vorgabe, dass im Idealfall 50 Prozent der verwendeten Original-Töne von Frauen stammen sollte. Wir sprechen (vielleicht zu) häufig vor allem mit Entscheidungsträger:innen... und ja, diese sind in der Mehrzahl immer noch männlich. Wenn aber nur der Gemeindepräsident zu einem lokalen Thema offiziell Auskunft gibt, dann müssen wir halt eben mit diesem Gemeindepräsidenten sprechen. Wenn im Kantonsparlament (fast) nur männliche Politiker ans Rednerpult treten, dann erscheinen halt deren Aussagen in unseren Beiträgen. Natürlich müssten wir also in der Pause noch nach weiblichen Politikerinnen suchen, die uns auch etwas sagen könnten zu den Vorlagen – aber das ist aus Zeitgründen im hektischen Alltag der Parlamentsberichterstattung schlicht nicht möglich.
Was denkt eigentlich die Redaktion zu diesem Thema?
Genau solche Einwände sind oft zu hören an den Redaktionssitzungen. Und daraus abgeleitet durchaus berechtigte Zweifel daran, ob wir die selbst gesetzten Ziele überhaupt je erfüllen können. Nach dem Motto: «50 Prozent weibliche Stimmen haben wir halt erst dann, wenn auch 50 Prozent Firmen-Chefs und Gemeindepräsidentinnen weiblich sind.» Und selbstverständlich gibt es auch in unserer Redaktion Personen (männliche und weibliche übrigens), die das Thema für etwas überbewertet halten. Nach dem Motto: «Mir wär’s lieber, die Frauen hätten endlich die gleichen Löhne, als dass wir nur über gendergerechte Sprache und den Frauenanteil bei Interviews diskutieren.»
Allerdings: Trotz oder gerade wegen dieser Kritik haben sich im letzten Jahr sehr viele sehr konstruktive Diskussionen ergeben. Und – wie eingangs erwähnt – die Bemühungen um etwas mehr «Diversität» haben auch erste Resultate gebracht. Wenn wir eine bestimmte Expertise brauchen für ein Interview, dann verlangen wir bei den angefragten Firmen, Organisationen oder öffentlichen Stellen immer häufiger explizit nach einer Frau als Auskunftsperson – was in einigen Fällen dann auch wirklich klappt.
Klar, der Weg zur «Gleichberechtigung in Sendezeit und Sprache» ist noch ein weiter Weg. Auch, weil wir bei unserer Arbeit natürlich davon abhängig sind, wer wo was zu sagen hat. Und (zu) oft entscheiden und reden noch immer vor allem Männer. Die Sensibilität für das Thema ist in unserer Redaktion stark gewachsen durch das Projekt «Chance 50:50» der SRG – und das ist, finde ich – ein erster wichtiger Meilenstein.
Diversität ist aber natürlich eigentlich ja nicht nur eine Frage von Mann und Frau. Auch Menschen mit Migrationshintergrund (immerhin rund ein Viertel der Bevölkerung) oder Menschen mit Einschränkungen kommen in der Medienberichterstattung viel seltener vor, als sie es eigentlich müssten. Insofern ist klar: Es bleibt noch viel zu tun. Wir bleiben dran.