Das «Silodenken» ist passé
Wenn die Unternehmensführung von SRF über «Transformation» spricht, können sich viele Menschen darunter nur wenig vorstellen. Praktische Beispiele aus dem redaktionellen Alltag zeigen aber: Der digitale (Kultur-)Wandel hat auch in den Regionalstudios längst Einzug gehalten.
Das öffentliche Medienhaus der Schweiz war vor wenigen Jahren noch ein ganz anderes (Medien-)Haus als heute. Im Leutschenbach in Zürich-Oerlikon kümmerten sich die Mitarbeitenden um ihre Fernsehsendungen. In den Studios Zürich Brunnenhof, Bern und Basel kümmerten sich die Mitarbeitenden um ihre Radiosendungen.
Klar, schon vor der Fusion von Radio DRS und SF DRS zu SRF gab es auch einige verwegene Köpfe, die Inhalte im Internet publizierten. Meist waren sie aber ziemlich weit weg von den Kolleginnen und Kollegen bei Radio und TV. Und irgendwo in Biel schrieben einige Redaktorinnen und Redaktoren noch Texte, für den Teletext.
SRF ist eine Art Logistikzentrum für Informationen
Unter dem Strich darf oder muss man wohl von einzelnen Silos sprechen, in denen sich die Journalistinnen und Journalisten bewegten. Konkret: Man hat seine Geschichte recherchiert, hat Interviews geführt, hat einen Beitrag produziert für seine eigene Sendung oder seinen eigenen Sender. Das war’s.
Heute läuft es anders. SRF ist keine Ansammlung von einzelnen Silos mehr, SRF ist zu einem grossen «Logistikcenter» für Informationen geworden. Journalistinnen und Journalisten recherchieren Geschichten, setzen diese auch immer noch für eigene Sendegefässe um. Aber es gibt andere Redaktionen, welche von den Recherchen profitieren.
Recherchen aus einer Radioredaktion werden auch zu einem Text auf der SRF News App. Bilder einer TV-Redaktorin landen auf Instagram und Facebook. Recherchen einer Youtube-Redaktion finden den Weg ins Fernsehprogramm. Und die Reaktionen des Publikums auf eine Geschichte werden vom Community-Desk gesammelt und lassen eine Folgegeschichte entstehen.
Da sind also überall Redaktorinnen und Redaktoren, welche Geschichten neu verpacken und dann – in einer anderen Form – über einen anderen Kanal zu einem anderen Publikum schicken. Das klingt für Sie noch immer viel zu abstrakt? Dann spielen wir den Prozess doch einfach an konkreten Beispielen durch.
Beispiel 1: Ton, Bild und Text für Radio, App und Instagram
Ein Reporter der Regionalredaktion besucht in Solothurn eine Veranstaltung. Es geht um «experimentelle Archäologie», eine spannende Angelegenheit: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen zum Beispiel mit historischen Methoden Eisen herzustellen – um damit mehr über vergangene Lebensformen herauszufinden.
Der Reporter berichtet darüber für das «Regionaljournal». Er führt Interviews und macht Tonaufnahmen von Geräuschen, die bei den Arbeiten der Archäologinnen und Archäologen entstehen. Der Reporter macht aber auch Fotos: Denn der Digitalredaktor im Regionalstudio Aarau schreibt auf Basis des Radiobeitrags auch einen Artikel für die SRF News App. Und dieser soll natürlich mit Bildern ergänzt werden.
In diesem Fall wird das gesammelte Rohmaterial sogar noch ein drittes Mal «verwertet»: Die Social-Redaktion in Zürich Leutschenbach gestaltet – natürlich von den Journalistinnen und Journalisten in Aarau inhaltlich unterstützt – noch eine «Story» (eine Abfolge von Fotos und Videos, die mit Text unterlegt sind) für den Instagram-Kanal von SRF News.
Beispiel 2: Radio-Serie und Podcast-Episode
Regionalredaktor Stefan Ulrich hat über Jahre einen politischen Prozess im Kanton Aargau begleitet: Er beobachtete die Entstehung des neuen Strassengesetzes, hat Einblick erhalten in die grosse Arbeit, die hinter einem solchen Gesetz steckt, schon lange bevor die offizielle politische Diskussion darüber beginnt. Aus mehreren Stunden Interview-Rohmaterial hat Stefan Ulrich dann im Herbst 2021 eine fünfteilige Serie für das «Regionaljournal» produziert. Diese wurde während den Herbstferien am Radio ausgestrahlt, insgesamt rund 50 Minuten.
Dann durfte er die Erkenntnisse seiner langjährigen Recherche auch in einem Podcast – «eingedampft» auf rund 25 Minuten – erzählen. Eine Episode «Einfach Politik» (immer hörenswert und auf allen üblichen Podcast-Portalen abonnierbar) wurde dem Aargauer Strassengesetz gewidmet. Selbstverständlich musste Stefan Ulrich hier einige Formulierungen anpassen, die Geschichte «neu erzählen». Denn: Der Podcast richtet sich erstens an ein Schweizer Publikum (und nicht nur an ein regionales) und zweitens an ein jüngeres Publikum.
Warum wir «Verpackung» brauchen
Darin liegt denn auch die Ursache dafür, dass «Silodenken» wie früher überhaupt nicht mehr möglich ist. Durch den – an dieser und anderer Stelle immer wieder erwähnten – Medienwandel haben sich die Bedürfnisse des Publikums stark gewandelt. Viele ältere Menschen schätzen das «normale» Radio- und TV-Programm natürlich immer noch. Jüngere Menschen aber suchen sich ihre Informationen in anderen Kanälen. Podcasts – die man gezielt abonnieren kann und dann hören, wenn es gerade passt – ersetzen für viele den linearen Radiokonsum. Socialmedia-Plattformen wie Instagram oder TikTok ersetzen bei noch jüngeren Zielgruppen die klassischen «Online-Medien» wie Website oder News-App.
Die SRG und damit auch SRF sind verpflichtet, für alle Menschen in der Schweiz Programminhalte anzubieten. In der Konzession steht sogar explizit, dass auch die jüngere Generation ein Recht auf öffentliche Medieninhalte hat. Zudem muss sich unser Angebot – wenn wir auch in einigen Jahren noch Publikum haben wollen – selbstverständlich der Zeit anpassen.
Das Problem: Ein Instagram-Video sieht völlig anders aus als ein Tagesschau-Beitrag. Auch wenn das Thema dasselbe ist, die Machart ist komplett verschieden. Und sie muss es auch sein, denn die Kanäle «Fernsehen» und «Instagram» haben andere Gesetzmässigkeiten. Wir verpacken unsere Inhalte also nicht aus reinem Spass mehrmals neu, sondern weil es die heutige Medienrealität verlangt. Und ja, dieser zusätzliche Aufwand bindet Ressourcen, die an anderen Orten leider eingespart werden müssen. Wir bedienen heute mit weniger Budget viel mehr verschiedene Kanäle. Ein Phänomen, das auch andere Medienhäuser kennen.
Vernetzung ist Pflicht – «sogar» zwischen Aargau und Zürich
Diesen notwendigen Wandel haben viele Redaktionen bereits vollzogen. Der neue Newsroom in Zürich Leutschenbach ist ein Symbol dafür. Doch die obigen Beispiele zeigen, dass auch die Regionalredaktionen längst vernetzt planen und produzieren. Das «Silodenken» ist vorbei.
Dabei spielt auch die traditionelle oder sprichwörtliche «Feindschaft» zwischen dem Aargau und Zürich für einmal keine Rolle. Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im Leutschenbach funktioniert wirklich gut. Wobei man vielleicht scherzhaft anmerken darf, dass es natürlich auch sehr viele Aargauerinnen und Aargauer im Zürcher Newsroom hat...
Dieser Text basiert auf der Präsentation, die anlässlich der Generalversammlung der SRG Aargau Solothurn in Solothurn gezeigt wurde.