Fachkräftemangel auch im Journalismus
Keine Sorge! Noch können wir alle Stellen bei der Regionalredaktion von SRF besetzen. Noch finden wir auch gut ausgebildete Journalistinnen oder vielversprechende Nachwuchstalente. Aber der «Run» auf offene Stellen war schon grösser. Ein bisschen Ursachenforschung.
Als ich selbst mich vor ziemlich genau 20 Jahren beim damaligen Radio DRS um eine Ausbildungsstelle beworben hatte, da war die Konkurrenz gross und meine Hoffnung klein, dass ich den Sprung in den Journalismus wirklich schaffe. Es klappte dann glücklicherweise und ich konnte bald darauf erzählen, ich hätte meinen «Traumberuf» gefunden. Journalismus ist spannend und lehrreich, die SRG eine tolle Arbeitgeberin.
Doch in der Zwischenzeit hat sich etwas verändert, zumindest gefühlt. Bei der letzten Stellenausschreibung für Sport-Mitarbeitende im Regionalstudio Aarau haben sich nicht vier oder fünf Studentinnen oder Studenten gemeldet wie üblich, sondern nur ein einziger. Auch bei Ausschreibungen für festangestellte Redaktorinnen und Redaktoren ist die frühere Flut an Bewerbungsschreiben vorbei... es melden sich gute Kandidierende, aber in überschaubarer Zahl. Was ist los?
Unser Job hat (für viele) an Reiz verloren
Der Fachkräftemangel trifft inzwischen praktisch alle Branchen. Die einfachste Erklärung dafür ist die Demografie. Kurz: Es gibt weniger Menschen, die neu ins Berufsleben starten als Menschen, die gerade in Pension gehen. Das gilt auch für den Journalismus. Und damit könnte die Analyse zu Ende sein. Doch so einfach darf es sich unsere Branche nicht machen, finde ich.
«Der Beruf hat an Anziehungskraft verloren, zweifellos.» Das sagt Bernd Merkel, Studienleiter am MAZ (Medienausbildungszentrum) in Luzern im Medienmagazin Edito. Am MAZ und an der Ringier-Journalistenschule hat es heute weniger Studierende als noch vor 10 Jahren. Nur der Kommunikationslehrgang an der Fachhochschule ZHAW hat mehr Studierende – dieser richtet sich aber nicht nur an künftige Journalistinnen und Journalisten, sondern auch an künftige Kommunikationsfachleute.
Man könnte also feststellen: Ein «Traumberuf» ist der Journalismus nicht mehr. Für einzelne junge Menschen natürlich schon – meine Redaktion darf dies aktuell gerade mit einem sehr talentierten und motivierten Praktikanten erleben. Aber mein Eindruck und der vieler Kolleginnen und Kollegen ist: Die Lust am Journalismus schwindet. Warum wohl?
Stress, Hass und bessere Alternativen
Journalismus ist anstrengend. Der finanzielle Druck in allen Medienhäusern (inklusive SRG) sorgt für noch mehr Stress. Ständige Erreichbarkeit, überraschende Pikett-Einsätze, lange Arbeitszeiten und Leistungsdruck («die Meldung sollte sofort raus») gehören gerade im hektischem Info-Journalismus zum Alltag. Der Verein JJS (Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz) hat das Thema psychische Gesundheit kürzlich aufs Tapet gebracht und die Branche aufgerufen, ihren Mitarbeitenden – und insbesondere ihren jungen Mitarbeitenden – mehr Sorge zu tragen.
Zum Druck «von oben» kommt auch der Druck «von aussen». Im Zeitalter von Kommentarspalten und Socialmedia gibt es auf jeden Artikel oder Beitrag sofort Reaktionen. Diese fallen nicht immer zimperlich aus, oft sind es Hasskommentare oder sogar Drohungen. Reporterinnen und Reporter werden zuweilen auch angegriffen.
Dieses Phänomen ist nicht neu oder erst seit der Corona-Pandemie bekannt. Bereits 2017 zeigte eine deutsche Studie, dass fast die Hälfte der befragten Journalistinnen und Journalisten verbale oder sogar physische Gewalt erleben. Inzwischen ist die Zahl noch angestiegen. Dass die Glaubwürdigkeit der sogenannten «Mainstream-Medien» (man müsste vielmehr von «seriösen Medien» sprechen) von einigen Menschen generell in Zweifel gezogen wird, hilft sicherlich nicht.
Schliesslich gibt es starke Konkurrenz für unseren Beruf: Behörden, Organisationen und Firmen haben den Wert der Kommunikation erkannt und beschäftigen immer grössere Teams. Die Anzahl Kanäle steigt, über die direkt mit Kundinnen oder Bürgern kommuniziert werden kann – der Bedarf an Fachpersonal steigt also. Jobs im Bereich PR und Kommunikation locken mit besseren Arbeitsbedingungen: Es gibt geregelte(re) Arbeitszeiten und oft höhere Saläre.
Medienhäuser und Gesellschaft in der Verantwortung
Die Ursachen für den sich abzeichnenden Fachkräftemangel liegen damit wohl auf dem Tisch. Die Frage ist, wie die Branche darauf reagieren soll. Eine Branche notabene, welche durch verändertes Konsumverhalten und die Digitalisierung in grossen Schwierigkeiten steckt (die sogenannte «Plattformökologie» wird in diesem Blog von David Elsasser wunderbar erklärt).
Ich bin überzeugt davon, dass wir als Medienschaffende der Bevölkerung und damit auch potenziellen künftigen Journalistinnen und Journalisten erklären müssen, warum die Medien eine zentrale Bedeutung für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaft haben. Wir müssen die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit zelebrieren, am liebsten schon an den Schulen.
Zudem braucht es trotz schwieriger ökonomischer Umstände neue Konzepte für die Arbeitsorganisation in vielen Medienhäusern. Die immer grössere Anzahl der Kanäle darf nicht dazu führen, dass Redaktorinnen und Redaktoren immer mehr Arbeit in der gleichen Zeit leisten. Es braucht eine Fokussierung der inhaltlichen Angebote, optimierte Prozesse, wahrscheinlich oft auch mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden.
Schliesslich wünschte ich mir, dass Politik und Gesellschaft erkennen, dass qualitativ hochstehende Informationen nicht kostenlos produziert werden können. Kritische Recherchen und verständliche Erklärungen zum Geschehenen in der Region, der Schweiz und der Welt stammen von Journalistinnen und Journalisten, nicht von Online-Plattformen wie Instagram oder Twitter.
Es gilt, was zum Beispiel auch für die Pflege gilt: Wertschätzung macht einen Beruf attraktiv. Damit meine ich nicht nur «Applaus» (auf Balkonen oder sonstwo), sondern gute Arbeitsbedingungen. Damit diese möglich sind, braucht es eine zahlende Kundschaft.