Der Einfluss professioneller Kommunikation steigt – und der Journalismus ist mitschuldig
Public Relations und Marketing werden wichtiger, Journalismus verliert an Bedeutung. Das ist nicht nur ein Gefühl, das ist auch mit Studien belegt. Die Entwicklung ist aus meiner Sicht für unsere Gesellschaft gefährlich.
Im (vielleicht etwas verklärten) Idealfall läuft es so: Eine Behörde, Firma oder Organisation kommuniziert eine Neuigkeit. So sagt die Regierung zum Beispiel, sie habe ein Gesetz geschrieben, welches ein wichtiges Problem der Gesellschaft regelt und für alle Menschen die beste Lösung darstelle. Nun greifen Journalistinnen und Journalisten diese Neuigkeit mit kritischer Distanz auf, befragen auch Gegnerinnen und Gegner, und ermöglichen damit eine breite und konstruktive Debatte über Vor- und Nachteile des neuen Gesetzes.
Die direkte Kommunikation wird wichtiger
Die Digitalisierung der Medienwelt hat dazu geführt, dass Behörden und Firmen allerdings inzwischen nicht mehr auf klassische «Massenmedien» wie Radio und TV angewiesen sind, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen. Über Socialmedia-Kanäle können sie direkt mit potenziellen Kundinnen oder politisch interessierten Kreisen in Verbindung treten. Die «Filterfunktion» des Journalismus fällt auf diesen Kommunikationskanälen weg.
Dazu verloren viele Medienhäuser durch die Digitalisierung ihre wirtschaftliche Grundlage, die klassische Werbung als Inserate in den Zeitungen oder Werbespots am Fernsehen wurde durch Online-Kampagnen ersetzt – und diese Gelder fliessen vor allem an Suchmaschinen oder soziale Netzwerke, nicht aber an die klassischen Verlage. Diese mussten sparen – und gespart wurde auch beim Journalismus.
Das führt dazu, dass die PR-Branche aktuell eher wächst, die Journalismus-Branche aktuell eher schrumpft. Was wiederum das Image des Journalismus schädigt. Viele Journalistinnen und Journalisten verlassen die Medienbranche und «wechseln die Seite», arbeiten also als Kommunikationsberaterinnen oder Textautoren für Firmen und Behörden. Laut einer kleinen Studie aus Österreich sind sich Journalistinnen und PR-Fachleute darin sogar einig: Journalismus hat an Attraktivität verloren.
Die Grenzen zwischen Journalismus und Werbung verschwimmen
Diese Entwicklung beschleunigt sich sogar selbst. Schlecht bezahlte oder mangelhaft ausgebildete oder unter hohem Zeitdruck stehende Journalistinnen und Journalisten (auch Kombinationen sind denkbar) lassen sich bei ihrer Arbeit gerne von Kommunikationsabteilungen helfen. So erzählten mir nach meinem Referat an der Generalversammlung der SRG Aargau Solothurn diverse Leute aus der PR-Branche, dass sie im Auftrag von Medienhäusern oft die ganze Recherche zu Geschichten übernähmen.
«Können Sie mir eine betroffene Person organisieren, damit ich meinen Beitrag etwas lebensnaher gestalten kann?», frage der Journalist, so erzählen die Kommunikationsprofis. Natürlich organisieren die Medienstellen von Behörden, Firmen und Organisationen gerne Auskunftspersonen, welche dann – ganz im Sinne des gewünschten Narrativs – ihre positiven Erfahrungen schildern.
«Wir brauchen noch ein Interview, aber ich tue mich grad schwer mit den richtigen Fragen»... sogar solche Aussagen hören PR-Fachleute offenbar zeitweilen. Worauf sie dann natürlich (möglichst gefällige) Interviewfragen liefern – und der Journalistin oder dem Journalisten de facto die ganze Arbeit abnehmen.
Die Gesellschaft braucht «richtigen» Journalismus
Diese zugegeben heftigen Beispiele zeigen, dass die Grenzen zwischen Marketingkommunikation und Journalismus verschwimmen. Ganz abgesehen davon, dass in den letzten Jahren auch immer mehr bezahlte Artikel zum Beispiel in Onlinemedien erscheinen – diese sind immerhin (meistens) als solche gekennzeichnet.
Wie eingangs beschrieben ist die Funktion des «kritischen Filters» die Hauptaufgabe des professionellen Journalismus. Wenn diese Aufgabe nicht mehr erfüllt wird oder werden kann, dann bringen Behörden oder Firmen ihre ungefilterte Form der «Wahrheit» immer besser unter die Menschen. Damit verliert die Gesellschaft eine wichtige Grundlage für einen kritischen öffentlichen Diskurs.
Natürlich müssen darauf vor allem die Medienhäuser selbst eine adäquate Antwort finden. Gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten mit einer gesunden Distanz zu Akteuren aus Staat, Wirtschaft und Organisationen (aller politischen Richtungen) stellen kritische Fragen und bringen eine Demokratie mit ihrer Berichterstattung weiter. Die Medien selbst sollten das grösste Interesse an «gutem» Journalismus haben.
Nicht alle Medien sind journalistische Medien
Aber auch Sie als Konsumentinnen und Konsumenten haben eine Verantwortung und können Ihren Einfluss geltend machen. Indem Sie «journalistische» Medien konsumieren zum Beispiel, also nicht nur Google und Instagram als Informationsquelle nutzen, sondern auch ein Abo für ein tagesaktuelles Medium lösen und bezahlen. Und wenn Sie das nächste Mal die Serafe-Rechnung bezahlen müssen, dann wissen Sie nach der Lektüre dieser Zeilen hoffentlich auch wieder, warum sich das durchaus lohnt.
Es gab noch nie so viele Informationen wie heute, heisst es oft. Aber (gute) journalistische Inhalte unterscheiden sich eben doch von «Propaganda» oder PR, selbst wenn diese mit guter Absicht gemacht wird. Es steckt eben eine Absicht dahinter, ein Absender mit einer klaren Agenda. Guter Journalismus hingegen fragt aus Sicht der Gesellschaft und arbeitet nicht im Sinne einer Behörde, Firma oder Organisation.
Mir ist – auch nach den Reaktionen auf meinen letzten Artikel zum Thema «PR» - sehr wichtig zu betonen, dass wir als Redaktion mit den vielen Kommunikationsprofis in unserer Region sehr konstruktiv zusammenarbeiten. Ich kenne und schätze persönlich unzählige Menschen, welche in der Kommunikationsbranche arbeiten und täglich einen tollen Job machen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Kommunikation und Journalismus. Es gibt dafür schliesslich auch unterschiedliche Ausbildungslehrgänge.
Mein Wunsch wäre ein gesundes Gleichgewicht zwischen PR-Fachleuten und Journalistinnen. Aktuell scheint dieses Gleichgewicht bedroht. Die Zahl der Kommunikationsfachleute steigt, die Zahl der Journalistinnen sinkt. Diese Entwicklung sollte nicht nur der Medienbranche, sondern auch der Gesellschaft zu denken geben.