Marco Jaggi stellt sich vor
Zum ersten Mal moderiert habe ich bei «Welle 8». Ich muss etwa neun Jahre alt gewesen sein. Der Radiosender «Welle 8» lag unter meinem Bett: Ein altes Holzbrett mit einem noch älteren Wega-Plattenspieler darauf. Jeweils nachmittags nach der Schule zog ich mein «Studio» unter dem Bett hervor, legte eine Platte auf und «ging auf Sendung». Ich war Sendeleiter, Techniker, Musikredaktor und Moderator in einer Person. Und natürlich auch der einzige Zuhörer.
Später verschwand das Studio im Estrich. Geprägt von den Airport-Filmen wollte ich eine Zeitlang Fluglotse werden. Doch der Gedanke «öppis mit Medie» war stärker. Noch als Schüler an der Kanti Solothurn begann ich für die Zeitung über Musikschulkonzerte und Vereinsjubiläen zu schreiben.
Als Student an der Universität Bern lockte dann wieder das Radio. Auf der Redaktion eines Lokalradios konnte ich ein Praktikum absolvieren, wobei ich am Anfang nur zwei Aufgaben hatte: Papier bündeln und Tonbänder rekuperieren. Aus kleinen, zweiminütigen Schnipseln musste ich grosse, einstündige Tonbänder zusammenkleben, die von Neuem überspielt werden konnten. Nach drei langen Wochen traute man mir mehr zu, drückte mir ein schweres Aufnahmegerät namens Nagra in die Hand und schickte mich zum Bärengraben, um darüber zu berichten, wie die eingeengten Tiere nach einem neuen Konzept bei Laune gehalten werden sollen.
Als Solothurner klopfte ich danach bei Radio 32 an, bekam als freier Mitarbeiter eine Musiksendung, durfte abends Eishockey-Resultate verlesen und Sportreporter aufschalten, wurde als Teilzeitler am Wochenende und – als «Morningshow» noch ein Fremdwort war – auch für die Frühsendung eingesetzt, bevor ich nach Abschluss des Studiums in die Redaktion wechselte und Nachrichten verlas.
Zwischendurch habe ich bei der Bundeshausredaktion von TV DRS auch ein bisschen Fernsehluft geschnuppert. Damals war die Redaktion noch unter der Bundeshauskuppel und nicht im fernen Medienzentrum einquartiert, für Praktikanten wie mich galt noch Krawattenpflicht, und Krethi und Plethi konnte noch mir nichts, dir nichts durch den Vordereingang marschieren.
Nun bin ich seit mittlerweile 14 Jahren in Aarau und Solothurn bei der Regionalredaktion von SRF und staune immer wieder, wie viel sich verändert hat: Kein Kind hört mehr Schallplatten, keine Journalistin schreibt ihre Zeitungsberichte noch auf einer Schreibmaschine, Tonbänder werden seit Jahrzehnten keine mehr rekuperiert, das Nagra lässt sich nur noch als Ausstellungsstück im Museum für Kommunikation bewundern, der Bärengraben hat längst ausgedient, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, der mir am ersten Praktikumstag im Bundeshaus die Lifttüre aufgehalten hatte, ist schon lange tot, und ein Buch über «Schweizer Parteien im Internet», das ich als Student verfassen durfte, ist Altpapier, seit die Präsenz im Netz zur Selbstverständlichkeit geworden und der LdU kurz nach der Veröffentlichung eingegangen ist. Wer ist so jung, dass er die Abkürzung googeln muss?
Rasant schreitet der Medienwandel voran und ich bin sehr gespannt, welche Veränderungen in den nächsten Jahren auf unsere Redaktion zukommen werden, deren Leiter ich nun seit wenigen Wochen sein darf. Werden unsere Online-Artikel künftig von der KI verfasst? Wird das Regi nur noch als Podcast on demand zu hören sein? Sicher ist, dass die Veränderungen nicht nur negativ sein werden. Oder vermisst jemand ernsthaft Tipp-Ex und Bandsalat?
Was sich nicht verändert hat in all den Jahren, ist meine Faszination fürs Regionale. Auch ein Mikrokosmos ist ein Kosmos. Die ganze Welt spiegelt sich im Kleinen. Ob in einer Grossstadt wie New York oder einem Dorf wie Fisibach: oft spielen sich die gleichen Dramen und Erfolgsgeschichten ab. Und nach wie vor finde ich den Alltag auf unserer Regionalredaktion äusserst abwechslungsreich: Als Reporter berichte ich heute über vernachlässigte Pferde, morgen über eine Wasserstoff-Tankstelle und übermorgen über die Kantonsrats-Debatte zur familienexternen Kinderbetreuung. Dies bei einem unabhängigen Medienhaus tun zu dürfen und mit einem Team, das mit viel Freude und Herzblut den medialen Service Public lebt, empfinde ich als Privileg. Bei «Welle 8» war es halt doch ein bisschen einsam.