Die Bandagen werden härter
2019 war ein Wahljahr, 2020 ist im Aargau wieder ein Wahljahr. Von der aktuellen Corona-Krise gar nicht zu reden. Viel zu tun für eine News- und Politikredaktion also. Daneben beschäftigt sich insbesondere der Redaktionsleiter natürlich aber auch mit Aufgaben «hinter den Kulissen». Dazu gehören immer häufiger auch juristische Klagen.
Als Redaktionsleiter ist man natürlich für die publizistische Ausrichtung und Qualität des Programms zuständig. Man wägt Argumente für oder gegen eine Berichterstattung ab, berät die Redaktion im Alltag bei heiklen Fragen, entscheidet im Zweifel. Daneben aber gibt es einen bunten Strauss weiterer, eher unspektakulärer Aufgaben: Buchhaltung, Personaldisposition, interne Kommunikation usw. Und immer wieder geht es auch um Streitigkeiten – mit Hörerinnen, mit Online-Kommentatoren. Und ab und zu auch direkt mit Anwälten.
Konstruktive Kommentare
Die direkte Kommunikation mit Hörerinnen und Online-Usern gehört seit jeher zum Job von Journalistinnen und Journalisten. Was früher die Leserbriefe in den Zeitungen waren, sind heute Kommentare unter Online-Artikeln oder «Replies» (neudeutsch, also englisch für «Antworten») auf Twitter.
Vieles davon bearbeitet die Redaktion im Alltag: Wenn zum Beispiel ein Nutzer darauf hinweist, dass wir einen Politiker in einem Artikel einer falschen Partei zugewiesen haben («XY ist aber Mitglied der Grünliberalen und nicht CVP-Kantonsrat»), dann antworten wir so schnell wie möglich («wurde sofort korrigiert, sorry»). Diese Art der zusätzlichen Qualitätskontrolle durch die «Community» ist äusserst wertvoll.
Ab und zu erhalten wir so auch zusätzliche Hinweise für weitere Recherchen. Das Internet ist toll, ein Google-Entwickler soll mal gesagt haben: «Die einfachste Art an korrekte Informationen zu gelangen ist, etwas Falsches in ein Forum zu posten und auf die Korrektur zu warten.»
Twitter, Trolle, Ombudsfälle
Selbstverständlich gibt es neben diesen Expertinnen und Experten aber auch einfach Menschen, die uns ihre Meinung sagen wollen. Auch das ist legitim, solange die Meinung in einem anständigen Tonfall formuliert und inhaltlich nicht falsch oder strafbar ist. Leider gehören dazu häufig sehr pauschale und damit wenig hilfreiche Reklamationen, wie zum Beispiel die Aussage «alle Medien-Kommentare zu den Wahlen 2019 kommen sehr ideologisch einseitig zu uns Leser/innen».
Werden Vorwürfe per Email an die Redaktion gerichtet, dann sind sie häufig Chefsache. Damit entlastet die Redaktionsleitung das Team von dieser – zum Teil ziemlich zeitaufwändigen – Arbeit im Hintergrund. Denn wir beantworten in der Regionalredaktion Aargau Solothurn jede Anfrage und bemühen uns dabei um eine ausführliche, sachlich differenzierte und selbstverständlich auch höflich formulierte Antwort.
In den meisten Fällen geben sich Hörerinnen und Nutzer damit zufrieden – weil sie es offensichtlich auch schätzen, dass wir ihre Anliegen ernstnehmen. In einigen wenigen Fällen habe ich sinnlose und ausufernde Diskussionen aber auch schon beendet mit dem Hinweis, dass «die Sache für mich erledigt ist, auch wenn wir Sie nicht von unserem Standpunkt überzeugen konnten.»
Einzelne Fälle gelangen direkt an die Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz. Verlangt diese eine Stellungnahme der Redaktion, so steigt der Aufwand im Gegensatz zur Beantwortung einer einfachen Email-Anfrage beträchtlich. In der Regel braucht eine seriöse Darstellung des Sachverhalts zwischen zwei und vier Stunden. Umso besser, wenn der Ombudsmann – wie im Falle unseres Interviews mit dem Solothurner SVP-Ständerat Christian Imark – zum Schluss kommt: «Alles war folglich absolut sachgerecht und journalistisch vorbildlich.»
«Im Auftrag meines Mandanten»
Ein eher neues Phänomen - zumindest im Regionaljournalismus – sind hingegen Schreiben von Anwaltskanzleien. Ich weiss nicht, woher diese (Un-)Sitte kommt, dass man für Reklamationen an journalistischen Beiträgen gleich einen Rechtsbeistand aufbietet (und bezahlt). Eine Anwältin oder ein Anwalt, der dann Änderungen an einem Artikel «im Auftrag meines Mandanten» wünscht und sich für den Fall einer Weigerung selbstverständlich «weitere juristische Schritte» vorbehält.
Dass sich betroffene Akteure nicht mehr direkt bei der Redaktion melden, hat wohl auch damit zu tun, dass sich diese Personen eine gewisse Einschüchterung der Redaktionen erhoffen durch die «offiziellen» Schreiben einer Anwaltskanzlei. Das hat tatsächlich beim ersten solchen Brief noch funktioniert bei mir. Inzwischen aber weiss ich, dass Anwälte (für Geld) auch halt- und aussichtslose Forderungen formulieren und dass unser Rechtsdienst bei SRF sich professionell um solche Anfragen kümmert und uns fachkundig beraten kann.
Besonders ärgern mich Anwälte, die gleich ganze Textpassagen neu formulieren – so, wie es ihre Mandanten gerne lesen und hören würden. Selbstverständlich publizieren wir online und am Radio Gegendarstellungen oder Richtigstellungen bei fehlerhafter Berichterstattung, und auch persönliche Erklärungen von angeschuldigten Personen lesen wir zum Teil im Wortlaut vor. Aber wenn eine Juristin mir erklärt, welchen Titel ich setzen soll und welche Aspekte einer Geschichte nicht von Interesse seien für das Publikum, dann hört der Spass auf.
Es ist ja auch nicht so, dass ich als Journalist Rechtsberatungen anbiete. Juristin und Journalist – es sind zwei verschiedene Berufe mit unterschiedlichen Ausbildungswegen, das gilt es auch in Streitfällen zu respektieren.
Feindbilder und Perspektivenprobleme
Es ist richtig und wichtig, dass die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten durch das Publikum kritisch begleitet wird und es ist selbstverständlich auch das gute Recht von allen Betroffenen, sich gegen aus ihrer Sicht ungerechte Berichterstattung zur Wehr zu setzen. Gefühlt zumindest wird aber mit immer härteren Bandagen gekämpft.
Dazu trägt wohl auch die grundsätzlich medienkritische Stimmung in der Bevölkerung bei. Gerade bei Gruppen, die sich gerne durch «Mainstream-Medien» an den Rand gedrängt fühlen, scheint die Sensibilität für reale und gefühlte Benachteiligung sehr stark ausgeprägt. Es ist denn auch auffällig, dass die meisten Reklamationen im Zusammenhang mit typischen «Reizthemen» anfallen (z.B. Corona-Viren, Ausländerkriminalität oder potentielle Gesundheitsschädigung durch Strahlen etc.).
Oftmals findet man keine Einigung, weil «Freund» und «Feind» für die Kommentatorinnen oder Beschwerdeverfasser klar besetzt sind. Wenn wir dann versuchen objektiv und unparteiisch zu berichten, stellen wir uns in den Augen dieser Menschen bereits auf die eine oder andere Seite.
Trotzdem: Bei vielen Schreiben kann ich unter Verweis auf unsere Arbeitsweise und unsere publizistischen Grundsätze die manchmal hochgehenden Wogen schnell glätten. Es bleibt deshalb – auch wenn der Wind rauher ist als auch schon – die grundsätzliche Erkenntnis, dass wir Journalistinnen und Journalisten gut daran tun, unsere Arbeit immer und immer wieder zu erklären. Dass wir Transparenz schaffen über unsere Methoden, immer wieder erklären, wie wir Quellen erschliessen und woher unsere Informationen genau stammen.
Wir müssen uns selbst erklären, mehr denn je. Vielleicht hilft das langfristig, um bei kritischen Geistern das Vertrauen zu stärken. Und damit gewissen Juristinnen und Juristen künftig die Kundensuche wieder etwas zu erschweren. Der Aufwand für diese journalistische Transparenz lohnt sich, wenn sich der Aufwand für die Bearbeitung von juristischen Klagen dafür reduziert. Selbst wenn man einen Rechtsstreit am Schluss gewinnt – und das ist immer noch der Regelfall – ist die Mühe dafür gross.