Digital heisst nicht dumm
SRF will ein Medienunternehmen für alle Bevölkerungsschichten sein. Deshalb wird das Angebot in Zukunft digitaler, bei Radio und TV gibt es gewisse Reduktionen. Die Reaktionen auf das Transformationsprojekt «SRF2024» zeigten zum Teil, dass digitale Inhalte automatisch mit seichtem Kurzfutter gleichgesetzt werden. Das ist ein Trugschluss.
Vor allem (aber nicht nur) jüngere Menschen nutzen Medien anders, gelangen auf neuen Wegen zu ihren Informationen. Mein Vater schaltete früher um 18:00 Uhr das Radio ein, dann musste die Familie am Esstisch schweigen und «Echo der Zeit» hören. Ich aber nutze Radiosendungen praktisch nur noch zeitversetzt, per Podcast, oder informiere mich direkt in der SRF News-App. Nicht dann, wenn eine bestimmte Sendung läuft, sondern dann, wenn ich gerade Zeit für und Lust auf ein News-Update habe.
Aber auch meine Mediennutzung ist schon etwas «alte Schule». Denn ich konsumiere noch ganz bewusst einzelne Formate von SRF oder anderen mir bekannten Medienmarken. So lese ich regelmässig die «Aargauer Zeitung» (natürlich online) oder rufe gezielt die deutsche «Spiegel»-App auf. Viele jüngere Menschen aber haben den Bezug zu einzelnen Medienmarken verloren – sie informieren sich in sozialen Medien, auf Instagram, Facebook, Tiktok und Co. Und auch wenn sie über diese Kanäle durchaus Inhalte von klassischen Medien konsumieren, häufig sind sie sich dessen nicht bewusst.
Diese neue Art der Mediennutzung ist eine Gewohnheit, wie man sie auch in anderen Bereichen beobachten kann. Früher ging ich zu Coop oder Migros, wenn ich neues Olivenöl brauchte. Heute gebe ich in der Suchmaschine den Begriff «Olivenöl» ein und lasse mich überraschen, welche Spezialitäten die verschiedenen Onlineshops aus aller Welt zu bieten haben. Bestellt wird, was gefunden wird und gefällt.
Im Kampf um Klicks
Auf digitalen Plattformen wie Youtube oder Spotify kämpfen unzählige Medienanbieter aus aller Welt um die Aufmerksamkeit des Publikums. Und ja, diese grosse Konkurrenz kann dazu verleiten, Inhalte möglichst grell und frech bewerben zu wollen. Sie kann dazu verleiten, möglichst interessante, wenn auch wenig relevante Inhalte zu platzieren. Im Kampf um Klicks wird – aus journalistischer Sicht – deshalb auch viel «Schund» publiziert.
Einige Kommentatoren befürchten denn auch, dass SRF künftig nur noch «seichte» Themen behandle und «digitales Kurzfutter» produziere. Wer beim Stichwort «digitaler Wandel» automatisch solche Befürchtungen hegt, der ist offensichtlich nicht sehr intensiv in der digitalen (News-)Welt unterwegs. Denn digital bedeutet nun wirklich nicht kurz, dumm, oberflächlich. Im Gegenteil: Der Fundus an gut recherchierten und aufwändig produzierten Informationsformaten ist online praktisch unerschöpflich. Das ist der Weg, den SRF konsequent beschreiten will.
Dazu gehören natürlich «klassisch» produzierte TV- oder Radiosendungen, die auf Youtube oder in der Podcast-App zur Verfügung stehen. Dazu gehören aber auch unzählige, speziell für digitale Kanäle entwickelte Formate, explizit auf ein jüngeres Publikum ausgerichtet. Im deutschsprachigen Raum gilt «funk» von ARD und ZDF als grosses Vorbild für gut gemachte, digitale Information. Seicht oder gar dumm ist dieses Angebot keineswegs.
Von Youtube zu den Tagesthemen
Als – bekanntes – Beispiel sei die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim genannt, die für funk und SWR den Youtube-Kanal «MaiLab» betreibt. Während der Corona-Pandemie erreichte ein (langes) Video mit einer (sehr klaren und einfachen) Erklärung von Daten und Fakten millionenfache Aufrufe. Anschliessend durfte die Youtuberin sogar bei den «Tagesthemen» im ersten Fernsehprogramm der ARD zum Thema Corona kommentieren. Sie hat durch ihre einfache Sprache und ihre fundierte Recherche eine solche Bekanntheit erlangt, dass auch das «klassische Fernsehprogramm» nicht mehr an ihr vorbeikam.
Fazit: Gut recherchierte und hintergründige Informationsangebote sind keine Exklusivität von Radio und Fernsehen. Ganz im Gegenteil: Digitale Formate mischen den Informationsmarkt auf, bringen neue Formen des Erzählens, erweitern die Möglichkeiten der journalistischen Arbeit. Das heisst bezüglich digitaler Transformation von SRF: Dank neuen, digitalen Formaten wird die journalistische Qualität von SRF künftig auch jüngeren Mediennutzerinnen und Mediennutzern zugänglich gemacht. Weil die Inhalte dort landen, wo dieses jüngere Publikum sich bewegt. Eine digitale Erneuerung von SRF ist also keine Gefahr für Qualität und Journalismus, sondern eine grosse Chance.
Und ja, viele dieser digitalen Formate richten sich zwar explizit an jüngere Menschen. Aber auch ich mit meinen 40 Jahren habe einige dieser – eigentlich auf eine jüngere Zielgruppe ausgerichteten – Formate inzwischen sehr schätzen gelernt. In diesem Sinne ermutige ich Sie, solche neuen digitalen Formate ohne Scheu anzusehen. Gut möglich, dass auch Sie künftig ein paar Stunden mehr auf Youtube verbringen statt vor dem klassischen Fernseher.